KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2017

K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 21 04 / 2017 JAHRESTAGUNG 2017 – WORKSHOPS Gabriela Wirth Barben gab uns einmal mehr einen spannenden Einblick in die hohe Kunst der Augenuntersuchung. Wie gerne würde man nach dieser «Masterclass» den Stereo-Langtest bei einem 6 Monate alten Säugling so souverän an Hand der Blicksakkaden wie Gabriela beurteilen oder eine Refraktionsanomalie von ½ Dioptrie mit dem Brücknertest erkennen können. Aber dazu brauchen wir wohl noch sehr viel Übung. Vorerst geben wir uns also damit zufrieden, eine Amblyopie möglichst früh zu erfassen und zur rechtzeitigen Therapie an die Augenärzte weiterzuleiten. Eine Amblyopie liegt vor, wenn der Visusunterschied beider Augen mehr als 2 Prüflinien beträgt oder der beidseitige bestkorrigierte Visus unter der Norm liegt. Nach dem Alter von ca. 10 Jahren ist eine Amblyopie nicht mehr therapierbar, da der visuelle Cortex nach dem Motto «use it or lose it» verfährt. Bei Geburt besteht normalerweise eine Hyperopie aufgrund der kurzen optischen Achse, welche sich mit dem Wachstum korrigiert. Ebenfalls liegt häufig ein ausgeprägter Astigmatismus vor. Die Sehschärfe beim Neugeborenen ist 0.05, beim 6 Monate alten Säugling 0.2 (aus 30 cm), ab dem Alter von 4 Jahren 0.8 (aus 4 m). Zur Prüfung des Visus wird der LH-Test empfohlen, der C-Test ist ebenfalls gut brauchbar, die Prüfung mit E-Haken ist unzuverlässiger und ergibt tendenziell bessere Werte. Eine Prüfung des Nahvisus ist erst ab 4–5 Jahren möglich. Die Normwerte entsprechen dann etwa dem Alter des Kindes, d.h. 0.4 mit 4 Jahren, 0.6 mit 6 Jahren, 0.8 mit 8 Jahren. Farbsehen ist ab dem Alter von 12 Wochen, wenn die Fovea ausgereift ist, möglich. Die Augenstellung ist mit 6 Monaten in 98% orthotop, d.h. gerade, bis dahin darf der Säugling noch schielen. Bei jüngeren Kindern ist das visuelle Verhalten mit der Reaktion auf Licht, Fixation, Augenmotilität, optokinetischem Nystagmus (Streifentest) und Abdecktest zu beurteilen. Dann sind die Hornhautreflexe, das Pupillenleuchten mit dem Ophthalmoskop einzeln und parallel (Brücknertest) und der Stereo-Langtest zu prüfen. Idealerweise wird der Brücknertest im abgedunkelten Raum aus 1 bis 1,5 Metern Entfernung durchgeführt. Der Stereo-Langtest gilt als positiv, wenn das Kind alle 3 Items korrekt benennt. Im jüngeren Alter muss die Reaktion des Kindes beschrieben werden. Ob Lang I oder II verwendet wird, spielt keine Rolle. Der Lang II wurde geschaffen, um allen Kindern ein Erkennen zu ermöglichen und Frustration zu vermeiden. Die immer häufiger eingesetzten Autorefraktometer bieten eine gute Möglichkeit, Refraktionsfehler früh zu erfassen. Dabei braucht es aber auch hier Übung und allenfalls Rücksprache mit dem Hersteller betreffend der Normwerte. Grundsätzlich empfiehlt Gabriela Wirth den Einsatz ab dem Alter von 2 Jahren. Besteht eine belastete Familienanamnese v. a. mit starker Hyperopie sollte eine erste augenärztliche Zuweisung mit ca. 1 Jahr erfolgen. Bei den in unserem Alltag häufigen Konjunktivitiden muss an einige «red flags» gedacht werden, die überwiesen werden müssen. Kontaktlinsenträger haben gehäuft Pseudomonas-Infektionen, welche eine Keratokonjunktivitis verursachen und die Cornea innerhalb eines Tages zerstören können. Therapie der Wahl ist die Kombination von Tobramycin und Ofloxacin, initial ½-stündlich. Herpes simplex kann ebenfalls eine Keratokonjunktivitis auslösen, die mit Aciclovir lokal 5× täglich behandelt wird, zudem sind kalte Kompressen hilfreich. Bei einem Herpes zoster im Bereich der Nase besteht das Risiko einer Uveitis. Klinische Alarmzeichen sind eine ciliäre (tiefe) Injektion, welche rosa durchschimmert, eine Visusreduktion und fixierte Pupillen. Bei der banalen Konjunktivitis, die im Rahmen von viralen Luftwegsinfekten auftritt, ist Befeuchten meist ausreichend. Gabriela Wirth rät zum zurückhaltenden Einsatz von antibiotischen Augentropfen und empfiehlt nach wie vor Spersapolymyxin oder Fucithalmic, als Reservemedikament Tobrex. Es hätte noch viele weitere interessante Themen und Fragen gegeben, aber leider war die Zeit einmal mehr zu kurz. ■ REFERENTIN: DR. MED. GABRIELA WIRTH BARBEN, OPHTHALMOLOGIE FMH. FACHÄRZTIN AUGENHEILKUNDE, SPEZIELL STRABOLOGIE UND KINDERAUGENHEILKUNDE, IN EIGENER PRAXIS IN ST. GALLEN MODERATION: DR. MED. CORNELIA DAMMANN GALLIVER, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATERIN IN MELS AUTORIN: DR. MED. BETTINA ESSERS, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATERIN IN ZÜRICH KORRESPONDENZADRESSE: bettina.essers@hin.ch Masterclass Ophthalmologie: Autorefraktion, Brücknertest und Familienanamnese – was ist relevant für die Beurteilung der Augen in der kinderärztlichen Praxis?

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