KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2017
03 / 2017 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 19 KIS News: Lieber Sepp, du hast dieses Jahr den Fanconi-Preis für deine Verdienste in der Ausbildung in der Pädiatrie verliehen bekommen. Dazu gratulieren wir dir natürlich herzlich. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass du dich so sehr für die Lehre engagierst? SH: Ich habe in meiner eigenen Aus- und Weiterbildung das Glück gehabt, auf einige Menschen zu treffen, die meine eigene Einstel- lung zur Ausbildung geformt haben. KIS News: Kannst du das konkretisieren? SH: 1987, in meinem zweiten Weiterbildungsjahr, besuchte ich ein Psychodramaseminar. Dies war ein Schlüsselerlebnis, das mich spä- ter die ganze mehrjährige Ausbildung zum Psychodramatherapeu- ten machen liess. Das Grundprinzip des Psychodramas ist der Rollen- tausch, d.h. ich übernehme die Sicht meines Gegenübers, der Eltern, des Kindes, des Studenten und fühle mich in seine Situation ein. Erst so kann ich mein Gegenüber richtig verstehen. Ob in der Praxis oder in der Lehre: Ich kann heute gar nicht mehr anders als das Selbst- verständnis meines Gegenübers als Ausgangspunkt zu nehmen. Ich möchte meine Studenten und Assistenten dort abholen, wo sie sich gerade befinden. Dazu muss ich zuerst wissen und spüren, wo sie sich in ihrem Erleben und Verstehen überhaupt bewegen. KIS News: Ist das denn nicht ein Grundsatz der Lehre? SH: Sollte es sein! Aber in der Realität gibt es einen Lehrplan und für viele Dozenten und Ausbildner ist es wichtiger, ein bestimmtes Thema abgehandelt zu haben. Einige haben keine Ahnung über den Ausbildungsgrad ihrer Studenten. KIS News: Das ist ja auch nicht möglich, bei 300 Studenten im Hörsaal… SH: … die Lehre findet ja nicht nur im Hörsaal statt, der übrigens ja auch nicht Sprechsaal heisst. Das eigentliche Lernen findet im zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Dozent und Student be- ziehungsweise Assistent statt, im Studentenkurs oder später ide- alerweise in einer Eins-zu-eins-Begleitung, wie sie die Praxisassis- tenz ermöglicht. Hier liegt der wichtige Punkt – es geht nicht um das Gefälle «Dozent» zu «Student», sondern um den zugewand- ten zwischenmenschlichen Kontakt im Rahmen der ärztlichen Wei- terbildung. Dies habe ich von meinem Lehrer Remo Largo gelernt. Er suchte stets die Stärken der Person – nicht seine Schwächen! Dies ist sein eigentliches Credo in Bezug auf Umgang mit Kindern – aber auch mit Assistenten, überhaupt mit allen Menschen! Ich baue also auf den bereits vorhandenen Kompetenzen des Assisten- ten auf und erweitere unser Gespräch im Rahmen des Dialogs auf gleicher Augenhöhe – auch wenn klar ist, dass ich mehr Erfahrung und Wissen mitbringe. KIS News: Und wie kannst du das dann auch umsetzen? SH: Hier kommt mein nächster Lehrer ins Spiel – es ist Dan Kohen* (emeritierter Professor für developmental pediatrics in Minneapolis), den ich in meiner Weiterbildung in Hypnotherapie kennenlernte. Dan lehrte mich den therapeutischen Umgang mit der Sprache. Die richtige Wortwahl ist entscheidend im Umgang mit dem Kind und genauso mit dem Assistenten. Die Sprache kann defizit- oder eben ressourcenorientiert angewandt werden. Mit der entsprechenden Wortwahl kann ich meine Haltung in Bezug auf mein Gegenüber richtig ausdrücken, ja, ich kann ihm auch ermöglichen, sich mir ge- genüber in seinen Stärken zu öffnen, und ich kann ihn dann bes- ser verstehen. KIS News: Kurz gefasst – wie siehst du die Zukunft der Lehre in der Pädiatrie? SH: Ich denke, es braucht diese drei Grundsätze: 1. Fähigkeit, sich in den Assistenten hineinzuversetzen; 2. Aufbau auf den Kompe- tenzen des Gegenübers; 3. Anwendung der ressourcenorientierten Haltung – auch in der Sprache. Ich darf dazu sagen, dass ich nach fast 20 Jahren Weiterbildung der Assistenten in der Praxis noch nie eine Vakanz in der Praxisassistenz hatte und mich diese Arbeit aus- serordentlich beglückt. KIS News: Sind wir praktizierenden Kinderärzte denn gut in unseren eigenen Fortbildungen? SH: Gerade die Weiterbildungen von KIS sind ja darauf fokussiert, dass der Austausch auf gleicher Augenhöhe mindestens so wichtig ist wie die eigentliche Informationsvermittlung. Da war ich schon etwas überrascht, als am letzten VZK Seminar die Rückmeldung kam, man hätte lieber mehr Zeit für den Experten eingeplant an- stelle der grosszügigen Diskussionrunde. Viele von uns sind eben immer noch sehr autoritätsgläubig und erfassen die Wichtigkeit des gemeinsamen Austausches zuwenig. Es geht hier weder um Evi- dence noch um Eminence based medicine, sondern um das Vermit- teln einer Haltung! Ich vermittle als Lehrpraktiker nicht nur Wissen, sondern meine persönliche Haltung – ja, als Lehrpraktiker bin ich täglich so nahe an meinem Assistenten, da kann und will ich mich nicht verstellen! Hier liegt ja auch meine persönliche Begeisterung und die Freude am gegenseitigen Austausch. KIS News: Danke Sepp für deine Zeit und weiter viel Freude und Erfolg! ■ Meine drei Grundsätze für eine erfolgreiche Lehre DR. MED. RAFFAEL GUGGENHEIM, ZÜRICH, LEITER RK Korrespondenzadresse: refoelguggenheim@yahoo.com Gespräch mit KD Dr. med. Sepp Holtz *Siehe auch Seminar mit Prof. Dan Kohen auf S. 32.
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