KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2017

02 / 2017 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 45 Testverfahren zur Bestimmung ihrer emotionalen Verfassung unterzogen. Auch wurde das Gehirn mithilfe der Magnetresonanztomografie untersucht. Probiotika schenken mehr Gelassenheit Es stellte sich nun erstaunlicherweise heraus, dass die emotionale Stabilität jener Frauen, die über vier Wochen hinweg Probiotika verzehrt hatten, deutlich konstanter ausfiel als der übrigen Frauen. Die «Probiotika-Frauen» regten sich nicht so auf, waren stressresistenter, nicht so angstanfällig und blieben in Konfliktsituationen gelassener als die Frauen, die keine Probiotika erhalten hatten. So hat diese –zugegebenermassen kleine – Studie von Dr. K. Tillisch gezeigt, dass Probiotika das Mikrobiom derart verändern, dass auf diese Weise depressives Verhalten, erhöhte Stressanfälligkeit und Ängstlichkeit gelindert werden. In anderen Studien konnten Symptome autistischer Kinder unter Gabe von Probiotika merklich reduziert werden. Eine mögliche Ursache erkannten irische Forscher im Jahr 2013. Sie stellten fest, dass der Zustand der Darmflora sich direkt auf die Konzentration wichtigen, Neurotransmitter im Blut aber auch im Hirn auswirkt. Probiotika beeinflussen die Synthese bzw. den Wirkungsgrad von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). Studien zufolge können Bakterienkulturen wie Lactobacillus- und Bifidobacterium-Arten GABA produzieren, ein Neurotransmitter, dessen Mangel ein erhöhtes Angstempfinden induziert. Nahrungsergänzungsmittel, die entweder Lactobacillus- beziehungsweise Bifidobacterium-Arten enthielten, konnten dementsprechend Angstsymptome bei Menschen und Tieren mit Reizdarmsyndrom reduzieren.  Da der gesamte Gastrointestinaltrakt des Menschen in stetem Austausch mit dem Zentralnervensystem steht, kann somit eine beruhigende und stimmungsaufhellende Wirkung erzielt und die Psyche beeinflusst werden. Menschen mit depressiven Verstimmungen könnten von einer Behandlung mit psychobiotischen Darmbakterien profitieren, teilweise sogar mehr als von einer medikamentösen Therapie, so die Autoren. Diversität von Anfang an Der Aufbau des menschlichen Mikrobioms beginnt bereits vorgeburtlich, aber in entscheidendemMasse in den ersten drei Lebensjahren. Bekannt sind Unterschiede der Darmbesiedelung von Kindern nach normaler Geburt und nach Kaiserschnitt, aber auch unterschiedliche Besiedlung von Müttern, welche in der Schwangerschaft rauchen oder eben nicht. Stillen ist ein ausserordentlich wichtiger Faktor, da in der Muttermilch und über die Brust eine Vielzahl mütterlicher Bakterien in den Darm der Kinder gelangen. Diese Kinder haben merklich weniger Magen-Darm-Verstimmung und auch weniger Infekte (insbesondere im Hals-Nasen-Ohren-Bereich). Daher wird bei nicht gestillten Kindern mit Darmbeschwerden die tägliche Gabe von Probiotika während der ersten zwölf Lebensmonate empfohlen. Ebenso werden sie in der Neonatologie zur Vorbeugung einer lebensgefährlichen Darminfektion (NEC) verabreicht. Einige Studien empfehlen auch eine prophylaktische Gabe um Infekten bei grösseren Kindern vorzubeugen – die Studien sind da aber noch verschiedener Meinung. Grundsätzlich ist aber übertriebene Hygiene im Kontakt mit Neugeborenen nicht empfohlen, da sie den Aufbau der Diversität hemmt und auch zu einer grösseren Allergiebereitschaft führt. Mundgesundheit durch Probiotika Auch in meiner zahnärztlichen Praxis verwende ich Probiotika zur Therapie von Zahnbetterkrankung (Parodontitis). Dadurch wird die Mundbakterienbesiedlung zugunsten der guten Keime verändert. Dies führt zu weniger Entzündung und dadurch zu einem Schutz der Zähne und noch mehr – ohne Parodontitis zu einer Besserung vieler anderer körperlicher Symptome. Für den langfristigen Erfolg spielt die Erhaltung eines gesunden Mundmilieus eine entscheidende Rolle. Natür- lich spielen dabei auch weitere Faktoren wie Mundhygiene, Ernährung und Lebensstil eine entscheidende Rolle.  Unterdessen gibt es sehr unterschiedliche Probiotikaprodukte, welche zumeist von verschiedenen im Darm natürlich vorkommenden Milchsäurebakterienarten mit probiotische Effekten stammen. Zu ihnen gehören u.a. Lactobacillus reuteri, L. rhamnosus, L. acidophilus, L. casei und Bifidobacterium lactis. Sie werden auch als Zusatz in Lebensmitteln und als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und sind daher auch ohne Rezept frei käuflich. Einige wenige Probiotika sind auch in Form von Arzneimitteln kommerziell erhältlich. Am Besten ist es, sich mit einer Fachperson zu beraten, welche das richtige Produkt für die richtige Indikation empfehlen kann. ■ QUELLEN: Parracho H. et al., «Differences between the gut microflora of children with autistic spectrum disorders and that of healthy children», Journal of Medical Microbiology, Oktober 2005, (Unterschiede zwischen der Darmflora von Kindern mit autistischen Störungen und der Darm- flora von gesunden Kindern) (Quelle als PDF-Link im E-Paper dieser Ausgabe). Tillisch K. et al., «Consumption of Fermented Milk Product With Probiotic Modulates Brain Activity», Gastroenterology, Juni 2013, (Verzehr von fermentiertem probiotischemMilchprodukt verändert Gehirnaktivität) (Quelle als PDF-Link im E-Paper dieser Ausgabe). Bravo J A et al. Ingestion of Lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve. PNAS 2011; 108(38):16050–16055. Dinan TG, Stanton C, and Cryan JF. 2013. Psychobiotics: A Novel Class of Psychotropic. Biological psychiatry 74: 720–726. Vécsei A Die Bedeutung der frühkindlichen Darmgesundheit, Arzt+Kind 4/2016 undKinderärzte Schweiz News 2017;1,32–37.

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