KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2017

FORTB I LDUNG 02 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 44 Die meisten Menschen haben von Bakterien eine negative Meinung – sie sind die Auslöser diverser gefährlicher Krankheiten und nur dank dem Erfolg der modernen Wissenschaft, gelang es – insbesondere mit Antibiotika und Impfungen – diese Krankheiten zu bekämpfen. Dieses Bild ist aber völlig falsch! Bakterien sind für Menschen und Tiere von entscheidender Bedeutung. Sie besiedeln unseren Darm und machen ca. 1,5 kg unseres Körpergewichts aus. Sie sind wichtige «Helfer» für unsere Verdauung, aber ihre Funktion geht auch weiter – sie können unsere körperliche und geistige Gesundheit entscheidend beeinflussen.  In den letzten Jahren wurden die Darmbakterien – das sogenannte Mikrobiom (früher als «Darmflora» bezeichnet) – intensiv erforscht und festgestellt, dass es durchaus Bakterien gibt, welche unserem Körper nutzen: sie wurden Probiotika benannt.  Die Entdeckung der «nützlichen Darmbakterien» führte zu einer regelrechten Anwendungs-Euphorie in der Nahrungsmittelindustrie, aber auch in vielen Bereichen der Medizin. So wurden viele Studien durchgeführt um den Effekt von Probiotika in diversen Bereichen zu überprüfen. Neuere Studien belegen die Wirkung für eine zunehmende Zahl von Indikationen. Neben eigentlicher Therapie z. B. bei antibiotikabedingtem Durchfall, werden Probiotika auch in der Prävention diverser Krankheiten bei frühgeborenen Säuglingen, Kindern und Erwachsenen angewendet. Auch in der Zahnmedizin können probiotische Präparate zur Prävention und Therapie von Zahn- und Zahnbetterkrankungen gezielt eingesetzt werden.  Der Begriff «Probiotikum» stammt aus dem lateinischen Wort «pro» = für und dem griechischen Wort «bios» =das Leben; Also «Für das Leben».  Dies im Gegensatz zum bekannten Wort «Antibiotikum», was eigentlich «Gegen das Leben» bedeu- tet (gemeint ist das Leben schädlicher Bakterien und Mikroorganismen). Die Erforschung des menschlichen Mikrobioms und von dessen Einfluss auf die unterschiedlichsten Körperfunktionen führte zu erstaunlichen und wichtigen Erkenntnissen. So weiss man inzwischen, dass unser Immunsystem gestärkt wird, wenn die guten Darmbakterien überwiegen – und umgekehrt, dass es geschwächt wird, wenn die schädlichen Darmbakterien die Oberhand gewinnen. Eine überraschende Erkenntnis ist auch, dass Menschen mit chronisch-entzündlichen Krankheiten, Menschen mit Übergewicht und Menschen in geistigen Ausnahmezuständen (z. B. Autismus) eine ganz andere Darmflora besitzen als gesunde Menschen.  So bewahrheitet sich das uralte Konzept des indischen Ayurveda und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), wonach im Darm der Ursprung von Gesundheit, aber auch vieler Krankheiten liegt. So setzen sich immer mehr Schulmediziner mit gesundheitlichen Auswirkungen einer intakten Darmflora auseinander, die weit über die eigentliche Verdauung hinausgehen. Probiotika reduzieren Intensität emotionaler Reaktionen Eine Studie, die im Juni 2013 im Fachmagazin Gastroenterology veröffentlicht wurde, stellte nun mögliche Zusammenhänge zwischen dem Zustand der Darmflora und der Entstehung von Depressionen fest. Bereits aus früheren Tierversuchen an Labormäusen wusste man, dass die Tiere sehr viel langsamer in Stress gerieten – also insgesamt sehr viel ausgeglichener waren – wenn sie regelmässig über das Futter mit Probiotika versorgt wurden. Forscher der University of California UCLA fanden nun heraus, dass Probiotika nicht nur bei Mäusen auf diese Art wirkten, sondern wohl auch bei Menschen. Dr. Kirsten Tillisch, Medizinprofessorin an der UCLA erzählt: «Immer und immer wieder hörten wir von Patienten, sie seien niemals depressiv oder ängstlich gewesen, bis sie Probleme mit dem Magen bekamen. Unsere Studie zeigt nun, dass nicht nur das Gehirn den Darm beeinflussen kann, sondern, dass sehr wohl auch umgekehrt der Darm das Gehirn und damit das emotionale Befinden des Menschen beeinflussen kann.»  Für die Studie wurden 36 gesunde Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren in drei Gruppen eingeteilt. Eine der drei Gruppen erhielt über einen Monat hinweg zweimal am Tag probiotisches Joghurt, welches vier unterschiedliche Darmbakterienstämme enthielt. Es handelte sich dabei um Bifidobacterium lactis, Streptococcus thermophilus, Lactobacillus bulgaricus und Lactococcus lactis. Die zweite Untersuchungsgruppe erhielt zwar ebenfalls Joghurt, jedoch ohne die genannten Probiotika. Die dritte Gruppe war die Kontrollgruppe und ass überhaupt keinen Joghurt. Alle drei Gruppen wurden vor, während und nach der Studie einem bestimmten «Liebe deine Bakterien» Weshalb Bakterien eine so wichtige Rolle bei der Erhaltung der Gesundheit spielen MED. DENT. ANTONELLA ANCONA, EIDG. DIPL. ZAHNÄRZTIN, WETTSWIL A. A. Auch in der Zahnmedizin können probiotische Präparate zur Prävention und Therapie von Zahn- und Zahnbett- erkrankungen gezielt eingesetzt werden.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx