KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2017

FORTB I LDUNG 02 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 36 Lichen Sclerosus «Manchmal wünsche ich mir Ferien von der Krankheit» Was waren die ersten Symptome Ihrer Tochter? Anja hatte wiederkehrend Rötungen im Genitalbereich. Unsere Kinderärztin verschrieb uns verschiedene Crèmes, ein Desinfektionsbad und Zinkcrème. Sie erklärte uns, dass es gerne zu Entzündungen im Intimbereich kommt, wenn die Kinder ihre Hygiene selber übernehmen. Anja war damals frisch im Kindergarten. Ich vertraute der Diagnose. Im Verlaufe des Jahres verschlimmerten sich aber die Symptome und Anja verweigerte das Desinfektionsbad. Sie hatte schlimme Schmerzen beim Baden. Da klingelten bei Ihnen die Alarmglocken? Wir waren an einem Punkt angelangt, wo wir uns eine vertiefte Abklärung wünschten. Wir konnten die grossen Schmerzen unseres Kindes nicht weiter mitansehen, Anja hatte im Intimbereich mittlerweile auch blutige Stellen. Wir suchten eine Kinder- und Jugendgynäkologin auf. Diese stellte gleich beim ersten Untersuch die Diagnose Lichen Sclerosus. Das heisst, dass sie während eines Jahres ohne eine korrekte Diagnose behandelt wurde? Wir haben später festgestellt, dass sich die Krankheit bereits im Babyalter manifestiert hatte. Wir hatten die damaligen wiederholten Entzündungen auf die Windeln zurückgeführt. Wie fühlten Sie sich? Im ersten Moment war ich einfach nur erleichtert, dass es eine Diagnose gab. Nach einigen Tagen hatten wir einen zweiten Termin, um das weitere Vorgehen zu besprechen, dabei erwähnte die Gynäkologin auch die Verwendung von Kortisonsalben. Aus diesem Gespräch ging ich mit gemischten Gefühlen, ich fragte mich, was die chronische Krankheit für uns langfristig bedeuten würde. Haben Sie sich im Internet über die Krankheit informiert? Nach dem ersten Besuch bei der Gynäkologin konnte ich nicht. Ich hatte mir den komplizierten Namen der Krankheit gar nicht merken können. Beim zweiten Besuch fragte ich detaillierter nach. Die Ärztin riet mir jedoch davon ab, nach Informationen im Netz zu suchen. Sie meinte, das könnte mich zu sehr aus der Bahn werfen. Weil wir der Behandlung mit Kortison kritisch gegenüber standen, begann ich dann aber doch im Internet zu surfen und es trat ein, was unsere Ärztin vorab befürchtet hatte: Die ganze Flut an Informationen brach über mich ein. Wie ging es mit Anja weiter? Zum Zeitpunkt der Diagnose waren die Schmerzen so schlimm, dass Anja es beim Wasserlösen fast nicht aushielt und deshalb in der Dusche urinieren musste. Nach der zweiten Sitzung bei der Gynäkologin wendeten wir deshalb die verschriebene Kortisonsalbe effektiv an und es stellte sich rasch eine Besserung ein. Die Schmerzen und Rötungen gingen mit der Zeit weg. Wie erklärten Sie Anja, was sie hat? Wir haben ihr gesagt, dass sie eine Hautkrankheit hat, die man mit Salbe behandeln muss. Als sie bemerkte, dass die Salben die Schmerzen lindern, fasste sie Vertrauen. Es war insgesamt eine emotionale und belastende Zeit. Uns fehlte damals der Support. Wenn ich mit Freunden oder Bekannten darüber sprach, überforderte ich viele mit dem Thema, niemand kannte diese Krankheit. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten damals schon Kontakt zu anderen Betroffenen gehabt. Etwas später bin ich dann im Internet auf den damals neu gegründeten Verein Lichen Sclerosus gestossen. Seither pflegen wir den Austausch mit einer Familie mit einem gleichaltrigen betroffenen Kind. INTERVIEW: NATHALIE WOLGENSINGER, VEREIN LICHEN SCLEROSUS, RHEINFELDEN BETTINA FISCHER, VEREIN LICHEN SCLEROSUS, RHEINFELDEN Wiederkehrender Juckreiz und Brennen, Rötungen, Einblutungen oder weissliche Verfärbung im Genitalbereich, chronische Verstopfung mit Hautrissen im Afterbereich… Lichen Sclerosus ist eine wenig bekannte, unheilbare, chronische entzündliche Hautkrankheit der äusseren Genitale, die mehrheitlich Frauen (ca. jede 50. Frau), etwas weniger häufig aber auch Männer und Kinder betrifft. Bei Kleinkindern werden die Symptome nicht selten über längere Zeit mit einer Windeldermatitis verwechselt. Im Interview schildert Sandra S* ihre Erfahrungen vor/nach der Diagnose LS bei ihrer 9-jährigen Tochter Anja. *Die Mutter von Anja möchte anonym bleiben.

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