KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2017

FORTB I LDUNG 02 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 28 Haarausfall im Kindesalter – was tun? Einführung Haarerkrankungen sind im Kindesalter relativ häufig und können diagnostisch eine Herausforderung darstellen. Obwohl die Differenzialdiagnose grundsätzlich sehr breit ist, trifft der Pädiater/die Pädiaterin im Praxisalltag lediglich eine beschränkte Anzahl von Krankheitsbildern an. Ziel dieses Artikels ist es, eine Einführung in die Beurteilung von Alopezien und Effluvien zu geben und die häufigsten hierfür verantwortlichen Krankheitsbilder zu besprechen.  Unter Alopezie versteht man eine sichtbare Haarlosigkeit an Körperstellen, die üblicherweise von Terminalhaaren besetzt sind. Das Effluvium bezeichnet hingegen einen verstärkten Haarausfall (>50–100 Haare täglich), welcher bei ausgeprägtem Befund zur sichtbaren Reduktion der Haardichte und Alopezie führen kann.  Wichtig für das Verständnis von Haarerkrankungen ist die Kenntnis des Haarzyklus. Dieser verläuft in drei Phasen: – Anagenphase: Aktive Wachstumsphase, Dauer 2–6 Jahre – Katagenphase: Sistierung der Haarmatrixaktivität, Dauer 10–14 Tage – Telogenphase: Ruhephase, in der das abgestorbene Haar noch im Haarfollikel verbleibt, bis es vom nachwachsenden Anagenhaar ausgestossen wird, Dauer 3–4 Monate Bei jedem Patienten mit einem vermuteten Haarproblem muss eine sorgfältige Anamnese und danach klinische Untersuchung mit Inspektion von Haaren, Skalp, Nägeln sowie des übrigen Integuments erfolgen. Sofern alopezische Areale vorliegen, muss entschieden werden, ob Hinweise auf eine Vernarbung (Verlust der Follikelöffnungen) vorliegen. Mittels Pull-Test kann die Aktivität eines vermuteten Effluviums grob eingeschätzt werden. Man nimmt dabei an verschiedenen Stellen eine Haarsträhne (ca. 50 Haare) zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht locker daran. Wenn dabei >5 Haare mitgehen, deutet dies auf ein verstärktes Effluvium hin.  Anhand der genannten, einfachen Untersuchungen kann klinisch häufig eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. In einigen Fällen sind weitere Abklärungen (mikrobiologische Untersuchungen, Biopsie, Trichogramm, Labor) erforderlich. Häufige Krankheitsbilder im Kindesalter Telogeneffluvium Das Telogeneffluvium stellt die häufigste Ursache für vermehrten Haarausfall im Kindesalter dar. Dabei führt ein Trigger zu einem vorzeitigen Übergang von multiplen Haarfollikeln von der Anagen- in die Telogenphase. Aufgrund der Dauer der Telogenphase wird das verstärkte Effluvium erst 6–16 Wochen nach dem Auslöser ersichtlich. Als Trigger eines akuten Telogeneffluviums kommen vor allem hochfebrile Infekte, operative Eingriffe oder andere akute Ereignisse infrage. Da nach jeder Telogenphase ein neuer Anagenhaarfollikel entsteht, handelt es sich naturgemäss um einen transienten Prozess mit schlussendlich Wiedererlangen der kompletten Haarfülle.  Das Telogeneffluvium kann im Rahmen von Grunderkrankungen auch chronisch über Monate und Jahre auftreten. Hierbei ist insbesondere an Schilddrüsenfunktionsstörungen, chronische Erkrankungen, Malnutrition (z.B. Zöliakie) und Medikamente als Ursache zu denken. Häufig ist das Telogeneffluvium für betroffene Familien sehr einschneidend. Es hilft dabei, wenn man den Betroffenen das Telogeneffluvium als «verstärkten Haarwechsel» verständlich macht. Meist kommt es nicht zu einer sichtbaren Alopezie, wobei bei Verlust von >25% der Haare doch eine sichtbare Lichtung, häufig in der Schläfengegend, auftreten kann.  Bei akutem Telogeneffluvium und klarem Triggerfaktor sind keine Abklärungen erforderlich. Bei chronisch verstärktem Haarausfall lohnt sich eine laborchemische Basisabklärung bezüglich der oben genannten, möglichen Grunderkrankungen (Blutbild diff, TSH, fT3/4, Ferritin, CRP, Vitamin B12, Folsäure, Zink).  Eine Therapie des Telogeneffluviums ist oft nicht erforderlich, wobei über 3 Monate die Gabe von «Haarvitaminen» (z. B. Pantogar®-Kapseln) möglich ist und von Betroffenen meist dankend angenommen wird. Alopecia areata (AA) Diese ist die häufigste Erkrankung, welche im Kindesalter zum Auftreten von umschriebenen, alopezischen Herden führt. Kinder jeden Alters können betroffen sein, wobei das durchschnittliche Erkrankungsalter bei ca. 10 Jahren liegt. Die AA wird heute als organspezifische Autoimmunerkrankung des Haarfollikels verstanden. Der Auslöser ist nach wie vor unbekannt, wie für andere Autoimmunerkrankungen zeigt sich aber auch für die AA eine klare familiäre Prädisposition.  Charakteristisch für die AA ist das plötzliche Auftreten von reizlosen, kreisrunden, komplett alopezischen Herden (Abbildung 1). Häufig zeigen sich dabei abgebrochene, kurze Haare, sowie auch depigmentierte Haare, was die klinische Diagnose unterstützt.  Der Schweregrad der Erkrankung reicht von einigen wenigen alopezischen Arealen bis zum kompletten Verlust des Kopfhaars (Alopecia totalis) oder der gesamten Körperbehaarung (Alopecia universalis). MARTIN THEILER PANG, MD; AGNES SCHWIEGER- BRIEL, MD; LISA WEIBEL, MD, ZÜRICH Korrespondenzadresse: Dr. med. Martin Theiler Pang, Abteilung für pädiatrische Dermatologie, Universitäts-Kinderklinik Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich, Martin.theiler@kispi.uzh.ch

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