KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2017

02 / 2017 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 15 ■ Tag gegen Lärm Immer am letzten Mittwoch im April findet der Internationale Tag gegen Lärm statt. Seit 2005 nimmt die Schweiz an diesem Aktionstag teil. Jedes Jahr steht eine andere Facette der Lärmproblematik im Vordergrund. Dieses Jahr wird unter dem Motto «Ruhe fördert» auf die Auswirkungen von Lärm auf Kinder aufmerksam gemacht. Lärm stört und kann krank machen. Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder eine gesunde Umgebung – ganz im Sinne von «Ruhe fördert»! Um Eltern und Betroffene auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen, stellen wir Ihnen attraktive Flyer, die ausgeschnitten einen Türhänger ergeben, zum Auflegen in Ihrer Praxis zur Verfügung. Unter www.laerm.ch/ kinder können Sie die Türhänger kostenlos bestellen und helfen so mit, Kinder von übermässigem Lärm und dessen schädlichen Folgen zu schützen.  Die Trägerschaft des «Tag gegen Lärm» in der Schweiz setzt sich zusammen aus: Cercle Bruit (Vereinigung kantonaler Lärmfachstellen), Schweizerische Gesellschaft für Akustik, Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz. Unterstützt wird die Trägerschaft vom Bundesamt für Umwelt BAFU und vom Bundesamt für Gesundheit BAG. Weitere Informationen finden Sie unter www.laerm.ch/kinder. Einfluss von Lärm im Säuglingsalter Lärm hinterlässt Spuren im Gehirn. Die US-Forscher Edward Chang und Michael M. Merzenich6 beschallten neugeborene Ratten mehrere Monate lang mit einem Rauschen, das sich mit normalen Umweltgeräuschen im Alltag vergleichen lässt. Das verursachte zwar keine direkten Schäden im Gehör der Tierbabys, doch es wurde eine Verzögerung der Entwicklung der Hörrinde beobachtet. Dort bilden sich während des ersten Lebensmonats Neuronenverbände, die selektiv auf bestimmte Lautmuster und Frequenzen reagieren. Bei den Ratten, die der Dauerbeschallung ausgesetzt waren, blieb dieser Reifungsprozess noch nach Monaten aus. Es ist denkbar, dass ähnliche Umstände auch bei Babys nachhaltige Spuren hinterlassen. So können laute Hintergrundgeräusche im Säuglingsalter einerseits die Gehirnentwicklung beeinflussen und so die Hör- und Sprachfähigkeit beeinträchtigen. Andererseits lernen Kleinkinder weniger gut sprechen, wenn beispielsweise Radio und Fernseher ständig nebenher laufen und sie dadurch auch weniger Ansprache erhalten. Es fällt den Kleinkindern schwer, an sie gerichtete Worte aus dem Umgebungslärm herauszufiltern – doch sprechen lernen Kinder nun mal durch die direkte Ansprache und das Zuhören. Hörschäden Verschiedene Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass eine Beschallung mit 100 bis 120 dB(A) über Minuten bis Stunden zu einem akuten Lärmschaden führen kann. Eine solche Schallbelastung führt sowohl zu stoffwechselbedingten als auch mechanischen Schäden im Bereich der Hörsinneszellen des Innenohrs. Meist entwickeln sich Hörschäden schleichend, in der Kindheit und Jugend oft unbemerkt. Bei einem Schalldruck von 130 dB(A) reichen aber bereits einige Sekunden, um einen Hörschaden zu erleiden.  Bei einem Säugling bis zum achten Lebensmonat sind die Nerven der Hörbahn von der Gehörschnecke zum Gehirn noch nicht ausgereift. Eine 15- bis 30-minütige unmittelbare Guggenmusik-Exposition beispielsweise kann da bereits zu einer irreversiblen Schädigung des Hörvermögens führen. Erwachsene und ältere Kinder können sich in solchen Fällen durch das Zuhalten der Ohren schützen oder sie entfernen sich von der Lärmquelle. Kleinkinder und Säuglinge können das nicht.  Auch anatomische Besonderheiten beim kindlichen Gehörgang führen dazu, dass die gleiche Lautstärke beim Kind einen deutlich lauteren Höreindruck verursacht als beim Erwachsenen. So kann bereits nach deutlich kürzerer Lärmexposition ein Hörschaden eintreten. Bis zum 5. Geburtstag ist das kindliche Gehör besonders empfindlich. Gesunde Entwicklung Damit sich Kinder möglichst gesund entwickeln können, ohne dass sie negative Langzeitfolgen davontragen, benötigen sie eine «gesunde» Umgebung. Der Belastung durch Lärm muss in Zukunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn eine übermässige Lärmexposition im Säuglings- und Kindesalter kann lebenslange Folgen nach sich ziehen. Bereits 1910 erkannte Robert Koch, Bakteriologe: «Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.» Seine Prophezeiung hat uns bereits eingeholt. ■ Dieser Artikel ist bereits in der Schweizerischen Ärztezeitung 2017/17 erschienen. 1  Ecoplanstudie im Auftrag des BAFU «Auswirkungen des Verkehrslärms auf die Gesundheit», Bern und Altdorf, 2014 2  Lärmwirkungsstudie NORAH, Bochum, 2015 3  Christensen JS, Hjortebjerg D, Raaschou-Nielsen O, Ketzel M, Sørensen TI, Sørensen M. 2016; Pregnancy and childhood exposure to residential traffic noise and overweight at 7 years of age. Environment International 94:170–176 4  Hjortebjerg D, Andersen AM, Christensen JS, Ketzel M, Raaschou-Nielsen O, Sunyer J, Julvez J, Forns J, Sørensen M. 2016; Exposure to road traffic noise and behavioral problems in 7-year-old children: a cohort study. Environ Health Perspect 124:228–234 5  Lercher P, Evans GW, Meis M, Kofler WW; Ambient neighbourhood noise and children’s mental health. Occupational and Environmental Medicine 2002; 59: 380–386 6  Chang E et al.: Environmental Noise Retards Auditory Cortical Development. Science. 2003; 300:498–502 Erwachsene und ältere Kinder können sich die Ohren zuhalten, wenn es zu laut wird – Säuglinge und Kleinkinder haben diese Möglichkeit nicht. Schützen Sie Kinderohren vor schädlichem Lärm. © Shutterstock.com

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