BERUFSPOL I T I K 02 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 14 ■ Lärm und Lautstärke Lärm ist unerwünschter Schall. Die Lautstärke von Schall wird in Dezibel dB angegeben. Die logarithmische Dezibel-Skala bildet von 0 dB (Hörschwelle) bis ca. 130 dB (Schmerzgrenze) den gesamten Lautstärkebereich in überschaubaren Schritten ab; 10 dB: Ticken einer Armbanduhr, 40 dB: leise Musik, 60 dB: normale Unterhaltung, 90 dB: Lastwagen, 120 dB: Presslufthammer. Änderungen der Lautstärke um 1 dB kann der Mensch unter bestimmten Voraussetzungen wahrnehmen; eine Änderung um 10 dB entspricht etwa einer Verdopplung bzw. Halbierung der subjektiv empfundenen Lautstärke. AUTORIN: OTTILIA LÜTOLF ELSENER, LUZERN, FACHÄRZTIN FMH ANGIOLOGIE UND INNERE MEDIZIN, MITGLIED AEFU, ARBEITSGRUPPE «TAG GEGEN LÄRM» DIESER ARTIKEL ENTSTAND IN ZUSAMMENARBEIT MIT NADIA SAUTER OES, FACHÄRZTIN FMH FÜR KINDER- U. JUGENDMEDIZIN, KINDERÄRZTE SCHWEIZ, WINTERTHUR UND ANDREA KAUFMANN, KOORDINATIONSSTELLE «TAG GEGEN LÄRM», LUZERN WIEDERVERÖFFENTLICHUNG MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DER AUTORIN. DIE ERSTPUBLIKATION ERFOLGTE IN DER SCHWEIZERISCHEN ÄRZTEZEITUNG. Lärm ist ein Stressor. Unser Gehör ist als hochsensibles Organ an die Geräuschkulisse einer längst vergangenen Naturlandschaft angepasst. Laute und ungewohnte Geräusche waren ursprünglich ein Signal für Gefahr, auf die der menschliche Körper mit einer erhöhten Alarmbereitschaft zu Flucht oder Kampf reagierte. Unsere Geräuschkulisse hat sich dramatisch verändert: Eine Unmenge von verschiedensten Geräuschen überflutet uns ständig. Auf laute und störende Geräusche reagiert unser Körper aber immer noch gleich wie zu Urzeiten. Er schüttet vermehrt Adrenalin und Noradrenalin aus und setzt Energiereserven frei. Mit steigender Lautstärke und Dauer gesellt sich Cortisol dazu – mit Folgen für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Eine Gewöhnung des Körpers an Lärm gibt es nicht. Auch Kinder leiden unter Lärm Die Wirkung von Lärm auf Kinder ist selten Gegenstand von medialen Diskussionen, doch Studien dokumentieren, dass chronische Lärmbelastungen auch bei Kindern anhaltende seelische und körperliche Beeinträchtigungen auslösen können. Wir müssen uns bewusst sein, dass Kinder ihre akustische Umwelt weniger beeinflussen können als Erwachsene. Sie sind oft Lärm ausgesetzt, ohne diesem ausweichen zu können. Ihre altersentsprechenden Bewältigungsstrategien (sog. Coping) schützen sie nicht vor den gesundheitlichen Folgen des Lärms z. B. durch spontanes Zuhalten der Ohren. Zudem fehlen Kindern oft das Wissen und das Verständnis dafür, dass Lärm schädlich sein kann. Lernschwierigkeiten Gemäss der Ecoplanstudie1 von 2014 entwickeln 17,5 Prozent aller Kinder zwischen 7 und 19 Jahren Lernschwierigkeiten, weil sie Verkehrslärm ausgesetzt sind. Der Lärm beeinträchtigt das Gedächtnis der Kinder. Dies führt zu einer eingeschränkten Konzentrations- und Merkfähigkeit, was den Lernprozess im Vergleich zu nicht lärmexponierten Kindern verlangsamt. Im Oktober 2015 wurden die Ergebnisse der NORAHStudie2 veröffentlicht. Dabei wurde die langfristige Wirkung von Verkehrslärm auf Gesundheit, Lebensqualität und die kindliche Entwicklung im Rhein-Main-Gebiet untersucht. In stark von Fluglärm belasteten Gebieten lernen Grundschulkinder langsamer lesen als Kinder in ruhigen Lagen. So verzögert eine Lärmzunahme von 10 Dezibel das Lesenlernen um einen Monat. Leiden die kognitiven Leistungen der Kinder unter einer starken Lärmexposition, wirkt sich das auch auf ihr Erwachsenenleben aus. Mit einem verminderten Lese-, Schreib- oder Merkvermögen werden sie es in der höheren schulischen Ausbildung schwerer haben. Schlafstörungen und Verhaltensauffälligkeiten Lärm wirkt sich aber nicht nur auf die kognitiven Leistungen der Kinder aus. Insbesondere Schlafstörungen und Stress durch Strassenlärm können auch Übergewicht und Diabetes als Folge haben3. Aufwachreaktionen während der Nacht laufen oft unbewusst ab, das heisst amMorgen wissen die Kinder nicht, dass ihr Schlaf gestört war. Kaum ein Kind sagt, es habe schlecht geschlafen. Dabei ist die nächtliche Erholung gerade für Kinder immens wichtig. Schlafstörungen bleiben so oft unbemerkt und beeinträchtigen über längere Zeit eine gesunde Entwicklung. Kinder, deren Zimmer zu einer viel befahrenen Strasse hinaus liegt, tendieren auch zu einem leicht erhöhten Blutdruck. Leidet der Körper jahrelang unter Bluthochdruck, kann die Häufigkeit von kardiovaskulären Erkrankungen im Alter zunehmen. Hyper-aktivität und andere Verhaltensauffälligkeiten werden ebenfalls mit einer andauernden Strassenlärmexposition in Verbindung gebracht4. Auch in vermeintlich ruhigeren, ländlichen Gebieten leiden Kinder unter dem Lärm. Eine Untersuchung5 an 1280 Tiroler Volksschülerinnen und -schülern zeigte, dass Symptome wie Angst, Depression oder Verhaltensauffälligkeiten signifikant mit einer höheren Verkehrslärmbelastung in Alltag einhergehen. Es scheint, dass alpine Täler weniger Belastungen durch Schallquellen ertragen, da der menschliche Organismus relativ zu seiner Hintergrundbelastung reagiert. Die hohe nächtliche Spitzen-Schallbelastung durch den Schienenverkehr fiel in dieser Untersuchung besonders ins Gewicht. Wie viel Lärm ist zu viel? Ob Schlafstörungen, erhöhter Blutdruck oder Hörschäden – Lärm kann Menschen krank machen. Doch nicht nur Erwachsene leiden unter Lärm, auch Kinder sind davon betroffen. Die Folgen einer übermässigen Lärmexposition sind aber nicht nur körperlicher Natur, auch psychische Leiden oder eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungen können auftreten. Ein erholsamer Schlaf ist für die gesunde Entwicklung wichtig. © Shutterstock.com
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