KINDERÄRZTE.SCHWEIZ
36 zahlreiche kommensale Mikroorganismen, deren dichte Besiedlung die Kolonisierung von Pathogenen einschränkt („colonization resistance“). Dies geschieht über eine Kon- kurrenz von Nährsto en, Produktion antimi- krobieller Peptide, Unterstützung bei Wachs- tum und Veränderung der Epithelober äche und Beein ussung der gastrointestinalen Motilität. Die Bedeutung der Mikrobiota als Schutzfaktor gegenüber pathogenen Mikro- organismen zeigt sich, wenn Bakterien z.B. durch eine antibiotische Therapie reduziert werden und sich pathogene Keime wie Clos- tridium di cile leichter vermehren und eine antibiotika-assoziierte Diarrhoe verursachen. Eine weitere wichtige Komponente stellen Paneth-Zellen dar, die über die Bildung von antimikrobiellen Sto en (Lactoferrin, Lyso- zym, Defensine) auch die Vermehrung von Mikroorganismen in unmittelbarer Nähe des Darmepithels einschränken. Neben diesen Barrierefunktionen verfügt der Darm über eine eigene Immunabwehr, das darmasso- ziierte Immunsystem (GALT, gut associated lymphoid tissue). Dieses stellt mit ca. 70–80% aller immunkompetenten Zellen den größ- ten Pool an Immunzellen in unserem Körper dar. Aufgabe des GALT ist es, pathogene Mik- roorgansimen abzuwehren und gleichzeitig tolerant gegenüber einer Vielzahl von Nah- rungsmittelantigenen und nützlichen Mik- roorganismen unserer Darmmikrobiota zu sein. Eine Fehlfunktion oder Schädigung der Darmbarriere kann einerseits eine erhöhte Infektanfälligkeit gegenüber Pathogenen zur Folge haben. Zum anderen kann es zu einer unkontrolliert hohen Penetration von Inhalt Frühkindliche Darmgesundheit Abb. : E ekte der Mikrobiota [3] Positive E ekte der Mikrobiota Schutz vor Pathogenen/Beteiligung an der Darmbarriere Bildung von kurzkettigen Fettsäuren Synthese von Vitaminen und Nährsto en Ein uss auf den enterohepatischen Kreislauf verschiedener Substanzen (Östrogen, Choleste- rin, Billirubin, Gallensäure, Morphin, Rifampicin, Digoxin ...) Aufbau von Harnsto Metabolismus von Medikamenten Ein uss auf die Entwicklung des Immunsystems und das enterische Nervensystem Negative E ekte der Mikrobiota Konkurrenz um Kalorien und Nährsto e Produktion von schädlichen Metaboliten (Karzi- nogene, dekonjugierte Gallensäuren ...) Exazerbation von entzündlichen Erkrankungen Schleimhautschädigung bidirektionalen nervalen, humoralen und immunologischen Interaktionen werden unter dem Begri „Mikrobiom-Darm-Hirn- Achse“ zusammengefasst. Der Ein uss der Mikrobiota auf unser Verhalten, unser Wohl- be nden als auch auf diverse neurologische und psychiatrische Erkrankungen ist Gegen- stand intensiver Forschung. Assoziationen zu Schmerzwahrnehmung, Angst, Stress, Depression, Autismus, Guillain-Barré-Syn- drom und Multipler Sklerose sind beschrie- ben. [32] Die genauen Zusammenhänge und ob die Dysbiose Ursache oder Wirkung ist, müssen noch geklärt werden. Mikrobielle und diätetische Möglichkeiten der Intervention Bei den vielfältigen Funktionen der Mikro- biota und der Assoziation von Dysbiose mit zahlreichen Erkrankungen drängt sich die Frage auf, ob und wie sich das intestinale Ökosystem des Darms beein ussen lässt, um gesundheitsfördernde, präventive und thera- peutische E ekte zu erzielen. Mütterliche Mikrobiota Da die Zusammensetzung der mütterlichen Mikrobiota die Kolonisierung des kindlichen Darms beein usst, stellt sie einen mögli- chen Angri spunkt bei der Prävention einer Dysbiose bei Nachkommen dar. So konnten einige Studien zeigen, dass der Kontakt von Schwangeren mit Stalltieren bzw. das Trinken von unbehandelter Kuhmilch zu einem ver- ringerten Risiko für die Entwicklung von Aller- gien bzw. Asthma beim Kind führen. [33] Für generelle Empfehlungen bzw. Maßnahmen, wie die Inokulation von Sectio-Kindern mit Vaginalsekret, ist die Datenlage derzeit noch nicht ausreichend. Probiotika Probiotika wurden aufgrund mehrerer positi- ver Metaanalysen als mögliche Option für die Behandlung in die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Sto wech- selkrankheiten zum Reizdarmsyndrom auf- genommen. Neben dem Reizdarmsyndrom gelten Durchfallerkrankungen und Antibio- tika-assoziierte Diarrhöen als besonders gut Antigenen kommen bzw. die Ausbildung einer immunologischen Toleranz beein usst werden, wodurch Krankheiten entstehen können. Die zunehmende Prävalenz von Allergien in westlichen Ländern wird unter anderem mit Veränderungen in der Darmmi- krobiota, der eine Schlüsselrolle in Immunre- gulation und Toleranzinduktion in den ersten Lebensjahren zugeschrieben wird, in Verbin- dung gebracht. Keimfrei aufgezogene Tiere weisen eine verminderte Dichte an Immun- zellen in der Darmschleimhaut, verkleinerte periphere lymphatische Organe und gerin- gere Immunglobulinspiegel auf. [24, 25] In diesen Tieren ohne Darmbesiedelung ist das Erreichen einer oralenToleranz schwierig. [26] Die Gabe von Lipopolysacchariden (LPS), die Bestandteil der Membran von gramnegativen Bakterien sind, zusätzlich zu den Nahrungs- mittelantigenen verbessert die Toleranzent- wicklung. [27] Auch die orale Gabe von lysier- ten Bakterien (Enterococcus faecalis und E. coli) an neugeborene Ratten konnte die Ent- wicklung von Nahrungsmittelallergien redu- zieren. [28] Vergleichbar mit der deutlicheren Zunahme der Prävalenz von Allergien in der westlichenWelt imVergleich zu Entwicklungs- ländern, zeigen Studien auch starke geogra- phische Unterschiede in der Zusammenset- zung der Darmmikrobiota. Insbesondere die verminderte Diversität der Mikrobiota, verur- sacht durch vermehrte Hygiene, Antibiotika- Gebrauch, kleinere Familien, undVeränderun- gen in Ernährung und Lebensstil, dürfte eine Bedeutung in der Pathogenese von Allergien haben. [24] So zeigten einige Studien Assozi- ationen zwischen einer verminderten bakteri- ellen Diversität und einem erhöhten Risiko für eine atopische Dermatitis, allergische Rhinitis bzw. Sensibilisierung. [29–31] Generell sind die Studienergebnisse zu diesemThema aber nicht einheitlich und es bedarf weiterer For- schung, um die möglichen Zusammenhänge zwischen Mikrobiota und allergischen Erkran- kungen besser zu verstehen. „Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse“ Der gesunde, reife Darm beheimatet etwa 100 Millionen Neuronen und somit mehr als das Rückenmark. Das enterische Nerven- system, auch als „Darmhirn“ oder „gut brain“ bezeichnet, kommuniziert über chemische Sensoren mit der Darmmikrobiota, während die Mikroben des Darms wiederum Ein üsse auf das zentrale Nervensystem haben. Diese
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