KINDERÄRZTE.SCHWEIZ

35 Arzt Kind fermentierbare Nahrungsquelle für ihr eigenes Wachstum verwenden und dabei nützliche Nebenprodukte für den Menschen erzeugen. Zu diesen Nebenprodukten zählen kurzkettige Fettsäuren, die in weiterer Folge im Dickdarm resorbiert werden. Ca. 10% der aufgenomme- nen Kalorien aus einer westlichen Ernährung entstammen diesem Prozess. Entwicklungs- geschichtlich ist eine Mikrobiota mit erhöhter Kapazität zur Utilisation von Energie aus der Nahrung ein großer Vorteil, da Nahrungsmit- telknappheit zum Alltag unserer Vorfahren gehörte. Im Gegensatz dazu steht die übermä- ßigeKalorienzufuhrvielerMenscheninderwest- lichen Welt. Adipositas mit ihren Begleiterkran- kungen stellt ein großes Gesundheitsproblem dar. Eine selektive Manipulation der Mikrobiota könnte ein vielversprechender therapeutischer Ansatz in der Behandlung von Adipositas sein. Neben ihrer Rolle in der Kohlenhydratverdau- ung stellt die Mikrobiota auch eine Vielzahl an Mikronährsto en (z.B. Vitamin B12, Vitamin K, Folsäure) bereit, die der Mensch nicht selbst her- stellen kann. Manche Bakterien verwerten auch Gallensäuren, was ein wichtiger Schritt in der Homöostase des Gallensäuresto wechsels ist. Regelrechte Motilität Die Motilität des Gastrointestinaltraktes ist ein wichtiger Aspekt der Darmfunktion. Sie wird durch Nahrung, das autonome Nerven- system des Darms, gastrointestinale Hor- mone und durch die Zusammensetzung der Darmmikrobiota beein usst. Barrierefunktion / Immunorgan Der Darm als größte Schnittstelle zur Umwelt bedarf spezi scher Barriere- und Immun- mechanismen, die einerseits den Körper vor Pathogenen schützen und auf der ande- ren Seite eine selektive Kommunikation des Organismus mit der Umwelt ermöglichen. Diese funktionelle Einheit aus Schleimhaut, Mikrobiota und darmassoziierten Immun- system wird als Darmbarriere bezeichnet. Die einzellige Epithelschicht ist luminal von einer 2-schichtigen Schutzschicht aus Mukus umgeben. Die kompakte innere Schicht ist für Bakterien imNormalfall undurchdringbar und minimiert den direkten Kontakt des intestina- len Epithels mit luminalen Mikroorganismen. Die aufgelockerte äußere Schicht hinge- gen bietet einen attraktiven Lebensraum für nachgewiesen werden. Dabei leistete die Therapie mit Penicillin einen Beitrag zur Ent- wicklung von Fettleibigkeit und reduzierten Expression von Genen, die für das Immunsys- tem von Bedeutung sind. Die E ekte waren umso ausgeprägter, je jünger die Mäuse bei der antibiotischen Therapie waren. Nach Transplantation der durch Antibiotika verän- derten Mikrobiota auf keimfreie Mäuse konn- ten selbige E ekte beobachtet werden. [23] Diese Studien liefern weitere Evidenz für die Bedeutung einer vielfältigen Darmbesiede- lung auf Gesundheit und Krankheit. Funktionen des gesunden Gastrointesti- naltraktes – Dysbiose und ihre Folgen Die vielfältigen Funktionen des Gastrointes- tinaltraktes sind eng mit dessen mikrobieller Besiedelung verknüpft. So beruht die Darm- gesundheit auf einem vielfältigen und aus- geglichenen, stabilen, gut funktionierenden mikrobiellem Ökosystem. Eine Störung oder ein Ungleichgewicht in diesem Ökosystem, als Dysbiose bezeichnet, wird mit zahlreichen metabolischen, immunologischen sowie psy- chologischen Beeinträchtigungen und diver- sen Erkrankungen inVerbindung gebracht. Die Bedeutung der Mikrobiotawird unter anderem durch deren Fehlen und somit aus Untersu- chungen am keimfreien Darm ersichtlich. Verdauung / Nährsto aufnahme / Metabolische Funktionen der Mikrobiota Der gesunde Gastrointestinaltrakt bewerkstel- ligt eine e ektive und e ziente Nahrungs- verdauung und absorbiert Nährsto e und Flüssigkeit, um die nutritiven Bedürfnisse des Körpers zu erfüllen. Dies wird durch eine Ober- ächenvergrößerung mittels Falten, Zotten und Mikrovilli ermöglicht, die den Dünndarm zum Organ mit der größten Ober äche (ca. 200 m², entspricht beim Erwachsenen der Größe eines Tennisfeldes) machen. Auch die Darmmikrobi- ota leistet einen Beitrag an der e zienten Ver- dauung und Regulation der Energiehomöos- tase. Darmbakterien produzieren eine Vielzahl von Enzymen (z.B. Glykosidhydrolasen), welche komplexe p anzliche Kohlenhydrate (Glykane) versto wechseln können. Dem menschlichen Genom fehlen diese Enzyme. Es herrscht eine symbiotische Wirt-Mikrobiom-Beziehung: Vor- wiegend im Dickdarm lokalisierte Bakterien können unverdauliche Nährsto e als eine leicht mikrobiota in ihrer Komplexität und Diver- sität gefestigt und ähnelt beinahe der des Erwachsenen. [4] Auch wenn nach diesem Zeitpunkt Faktoren, wie Diät, Krankheit oder Medikamente zwischenzeitliche Änderungen mit sich bringen können, bleibt diese adulte Mikrobiota nach der frühkindlichen Entwick- lung überwiegend stabil, was die Bedeutung dieses Zeitraums unterstreicht. Folgen von Antibiotika-Therapien So gut wie alle Antibiotika haben einen Ein- uss auf die Zusammensetzung und Funkti- onalität der Mikrobiota. Das Ausmaß ist vom Antibiotikum und dessen antimikrobiellem Wirkspektrum, Dosierung, Dauer derTherapie und Art der Verabreichung abhängig. Ampi- cillin oder Penicillin beispielsweise unterdrü- cken die normale aerobe und anaerobe Flora, inklusive Bi dobakterien, Streptokokken und Laktobazillen und verursachen eine Überwu- cherung mit Klebsiellen, Proteus und Can- dida. Cefaclor, ein orales Cephalosporin, hat hingegen bis auf eine Reduktion von Entero- bakterien nur geringfügige Auswirkungen auf die Mikrobiota. [3] Je nach Resilienz des Ökosystems bessert sich dieses Ungleich- gewicht 3 bis 6 Tage nach Beendigung der Antibiotikatherapie wieder. Allerdings dürfte es auch Langzeit-E ekte geben, da Ände- rungen in der mikrobiellen Zusammenset- zung auch 2 Jahre nach einer 1-wöchigen antibiotischen Therapie beschrieben sind. [20] Neben der antibiotika-assoziierten Diar- rhoe durch Überwucherung mit Clostridium di cile, gibt es zunehmend Daten über die Folgen von antibiotika-bedingten Verände- rungen der Mikrobiota. Eine in Großbritan- nien durchgeführte Kohortenstudie an über 1 Million Kindern zeigte einen Zusammen- hang zwischen Antibiotika und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Je häu- ger diese Kinder mit Antibiotika behandelt wurden und je jünger die Kinder bei der antibiotischen Therapie waren, desto höher war deren Risiko eine chronisch entzünd- liche Darmerkrankung zu entwickeln. [21] Eine andere multizentrische Kohortenstudie zeigte, dass jeder Tag einer empirischen anti- biotischen Therapie bei Frühgeborenen das Risiko an einer NEC zu erkranken erhöht. [22] In einer rezenten Studie konnte in Mäusen auch ein Zusammenhang zwischen frühen Antibiotikagaben und langanhaltenden E ekten auf Immunsystem und Metabolis- mus über eine Veränderung der Mikrobiota

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