KINDERÄRZTE.SCHWEIZ

FORTB I LDUNG 01 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 26 Funktionelle Obstipation beim Säugling und Kleinkind D ie funktionelle Obstipation ist eine häufige Erkran- kung im Kindesalter, die uns trotz einfachem Krank- heitsbild im Arbeitsalltag immer wieder fordern kann. Wer betroffenen Familien zuhört, weiss, wie belastend und stigmatisierend die Erkrankung für Kind und Eltern sein kann, umso wichtiger ist eine einfühlsame Befund- erhebung und kompetente Beratung. Dieser Artikel soll auf die praxisrelevanten Herausforderungen in Diagnos- tik und Therapie eingehen, basierend auf den Rome IV- Kriterien [1] und den Empfehlungen der Europäischen (ESPGHAN) und Nordamerikanischen Gesellschaft für Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (NAS- PGHAN) [2]. Es wird bewusst auf eine vollständige Ab- handlung des Themas verzichtet. Herausforderungen in der Diagnostik Die funktionelle Obstipation beim Säugling und Kleinkind ist definiert als unregelmässige und/oder schmerzhafte Darmentleerung mit hartem und/oder grossvolumigem Stuhlgang, Rückhaltemanövern und Stuhlinkontinenz über mindestens 4 Wochen. Ein weiteres Kriterium ist eine palpable Stuhlwalze im Rektum. Mindestens zwei der genannten Kriterien müssen erfüllt sein.  Entscheidend für die Entstehung einer funktionel- len Obstipation ist meistens eine unangenehme oder schmerzhafte Defäkation, welche zu einem Vermei- dungsverhalten führt. Rückhaltemanöver führen zu Stuhlretention, der Stuhlgang wird härter, die Defäka- tion ist erneut schmerzhaft und der Kreis schliesst sich.  In der Regel kann eine funktionelle Obstipation kli- nisch diagnostiziert werden. Der Schlüssel zur Dia- gnose ist eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung, wobei nach Hinweisen für eine zugrun- deliegende organische Erkrankung gesucht werden muss. Anamnestisch wichtige Warnzeichen sind ver- zögerter Mekoniumabgang und Beginn der Beschwer- den kurz nach der Geburt sowie Fieber, Erbrechen und blutige Durchfälle als Hinweis für eine Enterocolitis bei M. Hirschsprung. Um sich ein Bild von der Problema- tik zu machen, muss nach Stuhlfrequenz, -konsistenz und -kaliber, Defäkationsschmerzen, aber auch nach Rückhaltemanövern, welche eher für eine nichtorga- nische Ursache sprechen, und beim älteren Kind nach Stuhlschmieren gefragt werden. Im klinischen Unter- such muss neben den Körpermassen und der Unter- suchung des Abdomens ein besonderes Augenmerk auf die perineale Region (tiefes Grübchen, Behaarung, Asymmetrien) und die Analinspektion (Position korrekt oder nach ventral verlagert, normale radiäre Fältelung, Fistel, Analreflex) gelegt werden. Nicht vergessen wer- den sollte die neurologische Untersuchung der unteren Extremität (Tonus, Kraft, Sensibilität, Muskeleigenrefle- xe). Bei fehlenden Warnzeichen sollte auf eine rektal- digitale Untersuchung verzichtet werden, um eine wei- tere Traumatisierung des Kindes zu vermeiden. Hin- weise auf wichtige Differenzialdiagnosen wie einen M. Hirschsprung oder eine anatomische Auffälligkeit des Anus sowie neurologische Erkrankungen oder allfäl- lige Medikamentennebenwirkungen ergeben sich aus dieser Basisuntersuchung. Bei chronischem Verlauf und längerdauernder Therapie sollte diese ergänzt werden durch eine einmalige Blutentnahme zum Ausschluss einer Zöliakie, Hypothyreose oder Hyperkalzämie. So- wohl bei Hinweisen auf eine organische Erkrankung als auch bei chronischen Verläufen ohne Besserungsten- denz und Patienten mit schlechter Compliance sollte ein Spezialist beigezogen werden.  Wichtig ist zudem die Kenntnis der physiologischen Stuhlfrequenz in Abhängigkeit von Alter und Ernäh- rung. Als Beispiel ist beim vollgestillten Säugling die Bandbreite gross, eine Frequenz von 12-mal pro Tag bis 1-mal alle 10–14 Tage gilt als normal, sofern das Kind dabei wohlauf ist. Viele Eltern sind bei ausbleibendem Stuhlgang überzeugt, dass ihr Kind verstopft ist und Hilfe braucht, rektale Stimulation mit dem Thermome- ter oder die Gabe von Glyzerinzäpfchen sind die Folge. Meist hilft eine adäquate Aufklärung.  Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose der Obsti- pation im Säuglingsalter ist die Dyschezie. Dabei han- delt es sich um eine Koordinationsstörung während der Defäkation mit fehlender Relaxation der Becken- bodenmuskulatur und des Anus. Klinisch präsentiert sich das Kind mit Episoden von Pressen, Weinen und meist hochrotem Gesicht über mehrere Minuten. Ent- weder kann es im Anschluss weichen Stuhl absetzen oder es kommt zu keiner Defäkation. Es fehlen Zeichen der Obstipation. Eine gute Aufklärung der Eltern über die Harmlosigkeit der Symptomatik und den spontanen Reifungsprozess des Kindes sind von zentraler Bedeu- tung. Rektale Stimuli sollten auch hier unbedingt ver- mieden werden, da dies zu einer Konditionierung füh- ren kann. Laxantien sind meist unnötig.  Manchmal präsentiert sich eine schwere Obstipation auch mit Diarrhoe, bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Problematik jedoch als paradoxe Diarrhoe. Ein DR. MED. J. ZEINDLER, KINDERKLINIK TRIEMLI, ZÜRICH; DR. MED. G. MARX, OSTSCHWEIZER KINDER- SPITAL, ST. GALLEN UND KINDERKLINIK TRIEMLI, ZÜRICH

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