KINDERÄRZTE.SCHWEIZ
FORTB I LDUNG 01 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 24 Mythen und Fakten in der Säuglings- und Kleinkinderernährung G esunde Ernährung und insbesondere die optimale Ernährung unserer Kinder ist den allermeisten El- tern und auch uns Kinderärzten ein zentrales Anliegen. Ärztliche Beratung zur optimalen Ernährung in Gesund- heit und Krankheit ist aber nicht immer einfach – ei- nerseits, weil für viele Fragestellungen keine eindeuti- ge wissenschaftliche Evidenz besteht, andererseits aber auch als Evidenz geltende Meinungen sich im Laufe der Zeit ändern. Aus einem Potpourri von Fragen und My- then, welche in den kinderärztlichen Praxen auftauchen können, versucht der Autor, diese kritisch zu diskutieren und wo vorhanden, die Evidenz aufzuzeigen. «Kinder, die kein Gemüse essen, brauchen Vitamintabletten» Eltern von Kindern, die kaum oder nur sehr selektiv es- sen, machen sich oft grosse Sorgen, ob das Kind genü- gend Vitamine erhält, um zu wachsen und sich zu ent- wickeln. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass ein Kind, welches kein Gemüse isst, nichts Neues aus- probieren will und immer das gleiche Essen verlangt, kaum einen Nährstoff- oder Vitaminmangel entwickeln wird [1]. Allerdings ist zu beachten, dass in gewissen Situationen ein spezielles Screening und eine Beurtei- lung der Vitaminversorgung sinnvoll erscheinen bzw. in- diziert sind (z. B. frühkindliche Ess- und Fütterstörung, zusätzliche Grunderkrankung). «Ein ganzer Kuhmilchschoppen im 1. LJ ist gefährlich für den Säugling» Worauf basiert die Empfehlung, im ersten Lebensjahr auf Kuhmilch als Getränk zu verzichten? Kuhmilch entspricht in seiner Zusammensetzung, sowohl in Bezug der Mak- ro- und auch Mikronährstoffe nicht der Muttermilch und deckt damit die nutritiven Bedürfnisse des Säuglings in der Phase der alleinigen Milchernährung nicht. Einer der Hauptgründe, weshalb Kuhmilch als Getränk im ersten Lebensjahr nicht verabreicht werden soll, ist das Risiko ei- nes Eisenmangels, da Kuhmilch im Eisengehalt sehr tief ist. Auch weisen ältere Studien darauf hin, dass es durch eine Kuhmilchernährung beim jungen Säugling zu mi- kroskopischen Blutverlusten in der Darmschleimhaut kom- men könnte [2]. Ebenso weist Kuhmilch und auch ande- re Tiermilchen einen deutlich höheren Eiweiss- und auch Mineralstoffgehalt im Vergleich zur Muttermilch auf. Dies kann zu einer starken molaren Belastung der Nie- ren führen, was potenziell, z.B. im Rahmen einer febri- len Erkrankung oder Gastroenteritis, zu einer kritischen Dehydratation des Säuglings führen kann. Kuhmilch soll deshalb im ersten Lebensjahr nicht als Getränk gegeben werden. Die Verwendung kleiner Mengen an Kuhvoll- milch (bis zu 200 ml/d) zur Zubereitung einer Breimahl- zeit ist aber ab dem 7.–8. Lebensmonat möglich. «Nur Kinder in Nebelgebieten brauchen für 3 anstatt nur 1 Jahr Vitamin-D3-Substitution» Zur Vitamin-D-Substitution ist in den letzten Jahren sehr viel diskutiert und debattiert worden. Das BAG emp- fiehlt in seinem Expertenbericht eine Substitution bei al- len Säuglingen und Kleinkindern bis zum 3. Geburtstag mit 400 IU (1. Lebensjahr) resp. 600 IU (ab 2. Lebensjahr). Hauptquelle für die Vitamin-D-Versorgung ist die Haut, wo mithilfe des Sonnenlichtes Vitamin D synthetisiert wird. Dies reicht in den Sommermonaten für die ältere gesunde Bevölkerung meist aus, da aber gleichzeitig die Kinderhaut einen effizienten UV-Schutz benötigt und Vi- tamin D aus der Ernährung den Bedarf nicht zu decken vermag, wurde die Empfehlung für eine längere Substi- tution bis zum 3. Geburtstag ausgesprochen [3]. «Übergewichtige Kinder im 1. LJ werden später adipös» Der durchschnittliche Gewichtsverlauf eines Säuglings ist unterschiedlich, je nachdem, ob dieser mit Mutter- milch oder Formulamilch ernährt wird, wobei ein mit Muttermilch ernährter Säugling in den ersten Mona- ten eine etwas grössere Gewichtszunahme zeigt. In den meisten Studien findet sich die Muttermilchernährung jedoch als protektiver Faktor für die Entwicklung ei- ner späteren Adipositas. Im Vergleich zu einer Formula- ernährung konnte gezeigt werden, dass eine höhere Proteinzufuhr im ersten Lebensjahr mit einer späteren Adipositas assoziiert ist, wobei eine höhere Protein zufuhr mit einer stärkeren Insulinsekretion und damit einer Erhöhung des Insulin-like growth factor (IGF)-1 und IGF-binding Protein (IGFB)-1 einhergeht [4]. Ein weiterer Risikofaktor für eine spätere Adipositas ist eine zu schnelle Gewichtszunahme von (unterge- wichtigen) Früh- und Termingeborenen; ein sogenann- tes zu schnelles «catch-up growth». Insbesondere bei dieser vulnerablen Säuglingspopulation können durch einen vorsichtigen Nahrungsaufbau langfristig ungüns- tige metabolische Komplikationen vermieden werden. «Säuglinge können im 1. LJ ohne Bedenken vegan/vegetarisch ernährt werden» Alternative Ernährungsformen haben in den letzten Jah- ren deutlich an Popularität gewonnen. Nebst gesundheit- lichen Aspekten stehen beim Entscheid zur Ernährung mit Verzicht auf Fleisch und Fisch (vegetarische Ernährung) DR. MED. PASCAL MÜLLER, ST.GALLEN Korrespondenzadresse: Dr. med. Pascal Müller Leitender Arzt Ernährungs- medizin, Päd. Gastroenterologie FMH, Ostschweizer Kinderspital, St.Gallen, pascal.mueller@kispisg.ch FALSCH FALSCH FALSCH Richtig RICHTIG/ FALSCH
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