KINDERÄRZTE.SCHWEIZ

FORTB I LDUNG 01 / 2017 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 20 2.5. Formulamilch mit Lactobacillus reuteri Es gibt verschiedene Hersteller, die die Milchsäure­ bakterienkultur Lactobacillus reuteri beifügen, welches natürlicherweise auch in der Muttermilch vorkommt. Die Gabe von Lactobacillus reuteri (DSM 17938) zeigte in verschiedenen prospektiven Studien eine gute Evi- denz für die Behandlung von Säuglingskoliken, sodass es durchaus denkbar ist, dass durch das Beifügen die- ses Stammes in die Säuglingsmilch eine Wirkung erzielt werden kann (siehe Punkt 3.2). 3. Medikamentöse Therapie 3.1. Simeticon (z. B. Flatulex ® ) Simeticon wird für die Behandlung der Säuglingskoliken nicht empfohlen. Die zwei publizierten Reviews im Jah- re 2016 zeigen nur eine sehr geringgradige Evidenz für die Behandlung von Säuglingskoliken. Simeticon ist ein Medikament, welches sehr gut vertragen wird und we- nig Nebenwirkungen zeigt. Laut Literatur zeigt das Me- dikament jedoch keine bessere Wirkung im Vergleich zur Placebo-Behandlung. 3.2. Lactobacillus reuteri DSM 17938 (BiGaia ® ) Fünf verschiedene sogenannte Kolikstudien zeigten, dass der Lactobaciilus reuteri DSM17938 gegenüber Placebo und gegenüber Simeticon eine deutliche Reduktion der Schreizeiten nach 7, 21 und 28 Tagen zeigte. Die Studi- en wurden sowohl in Europa als auch Nordamerika und China durchgeführt. Einzig eine australische Studie zeig- te gegenüber Placebo keine eindeutige Verbesserung bei Säuglingskoliken. Die Gabe dieses Stammes in einer Do- sis von 1× 5 Tropfen/Tag ist bei Koliken empfehlenswert. Einige Fachleute geben dies auch bereits präventiv. Ob diese präventive Gabe die Inzidenz der Säuglingskoliken reduzieren kann, muss noch weiter untersucht werden. 4. Komplementärmedizin Verschiedene komplementärmedizinische Methoden wie z. B. Kräutertees, Fenchelsamen oder Gripe Wa- ter sollten primär bei Säuglingskoliken nicht primär ver- schrieben werden, da die Wirksamkeit dieser Mittel nicht bewiesen ist. Die Evidenz für die Wirksamkeit die- ser und auch verschiedener anderer homöopathischer Methoden ist nicht gegeben. Zusammenfassung Säuglingskoliken sind ein sehr häufiges Problem für vie- le Eltern, Mütter- und Väterberatung und Kinderärzte. Der Wirkungsmechanismus ist oft unklar, die therapeu- tischen Optionen sind vielfältig. Die Therapie sollte indi- viduell angewendet werden. Wichtig ist der Ausschluss organischer Ursachen und die entsprechende Beruhi- gung der Eltern. Die medikamentöse Therapie mit Lac- tobacillus reuterii DSM 17938 ist eine Therapieoption, die in Erwägung gezogen werden sollte. ■ REFERENZEN Benninga MA et al. Childhood Functional Gastrointestinal Disorders: Neonate/Toddler. Gastroenterology 2016;150:1443–1455 Savino F et al. Lactobacillus reuteri versus Simethicone in the Treatment of Infantile Colic: A prospective randomized study. Pediatrics 2007; 119:124–130. Savino F et al. Lactobacillus reuteri DSM17983 in infantile colic: A ran- domized, doubleblind, placebocontrolled trial study. Pediatrics 2010; 126:526–533. Szajewska H. el al. Lactobacillus reuteri DSM17983 for the Management of Infantile Colic in Breastfed Infants: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. J Pediatr. 2013 Feb;162(2):257–62. Chau K. et al. Probiotics in Infantile Colic: A Randomized, Dou- ble-Blind, Placebo-Controlled Trial Investigating Lactobacillus reuteri DSM17983 J Pediatr. 2015 Jan;166(1):74–8 Mi GL. et al. Effectiveness of Lactobacillus reuteri ininfantile colic and colicky induced maternal depression: a prospective single blind rand- omized trial. Antonie Van Leeuwenhoek. 2015 Jun;107(6):1547–53. Wir alle wissen, dass Geburten nicht einfach sind. Wir gestehen Müttern, die ihr Kind gebären, zu, dass es sich um die schmerzhaf- teste Erfahrung ihres Lebens handeln kann. Aber was ist mit dem Baby? Warum ist es ein Tabu, sich einzugestehen, dass auch das Baby die schmerzhafteste Erfahrung seines Lebens durchmacht? Die psychologischen Auswirkungen unseres pränatalen Lebens so- wie der Geburt können ausserordentlich nachhaltig, prägend und durchdringend sein. Dennoch erleben wir auch heute noch einen starken, fast universellen Widerstand gegen die Anerkennung der Existenz früher Erlebnisse und deren Langzeitfolgen für die Persön- lichkeitsentwicklung des Menschen.  Das Bedürfnisschreien bei Hunger, gefüllten Windeln, Trage- wunsch usw. lässt sich rasch beheben. Die Eltern sind bestärkt und in Ruhe.  Hinter einem «zufälligen» Schreianfall verbirgt sich der Ausdruck der Erfahrungen des Babys, die es in der Schwangerschaft und wäh- rend der Geburt gemacht hat. Eine bestimmte Position, eine Bewe- gung, ein (Stress-)Geruch, Farben, die Stimmung im Raum (Angst) und einiges mehr können Auslöser sein. Ein solches Erinnerungs- schreien wird nicht durch Medikamente oder einseitige Diäten ge- heilt, sondern dadurch, dass dem Baby und den Eltern mit sensibler Einfühlung, Achtsamkeit und Empathie begegnet wird. Anerken- nung der Geschichte tut Not. Nur in sehr wenigen Fällen ist die Ur- sache eines Schreianfalls tatsächlich im Verdauungstrakt zu finden.  Eltern sind nur allzu vertraut mit nervenaufreibenden Schrei­ anfällen und Schlafproblemen und wünschen sich Methoden, da- mit umgehen zu können. Methoden sind allerdings nichts als leere Werkzeuge, wenn die tieferen Ursachen der Symptome nicht er- kannt und berücksichtigt werden. Babys sind geeignete Opfer von Projektionen, weil sie nicht in der Lage sind, sich mit Worten aus- zudrücken. (Literatur beim Verfasser) Dr. med. Cyril Lüdin, Muttenz Kommentar: Wenn ein Baby leidet, leidet die ganze Familie.

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