Zenit Nr. 3, September 2019

Immer wieder hat es der heute 73-Jährige erfahren: Bei um- fassender Begleitung wird bei 99,5% der Menschen trotz Selbstbestimmung der Wunsch nach assistiertem Suizid seltener. «Die meisten Menschen haben nicht Angst vor dem Tod, wohl aber Angst vor dem Sterben. Die Palliativ- medizin lässt Sterbende und ihre Angehörigen in dieser Phase nicht allein. Der kranke Mensch spürt, dass er mit seiner Trauer und seinen Sorgen ernst genommen wird. Es ist jemand da, der ihm hilft, seinen Rucksack zu tragen.» Nach dem Studium der Medizin an der Universität Bern wurde Rudolf Joss während seiner Assistenzzeit für das Fachgebiet der Onkologie sensibilisiert. «Zum einen deckt es das ganze Spektrum der Medizin ab. Zum anderen ist der menschliche Aspekt für die Krebskranken wichtig. Sie be- finden sich mit ihren Angehörigen in einer Ausnahmesitua- tion und brauchen Unterstützung. Es hat mich fasziniert, sie zu begleiten und ihnen eine umfassende Betreuung an- zubieten.» Nach einem Weiterbildungsjahr in Vermont (USA) arbeitete er als Oberarzt in Bern und habilitierte sich, bevor er 1988 als Leitender Arzt nach Luzern kam. Am Kan- tonsspital baute er den Fachbereich Onkologie auf. Neben der Betreuung der Assistenten und den administrativen Arbeiten waren ihm auch als Führungsperson der tägliche Kontakt und eine gute Kommunikation mit den Patientin- nen und Patienten wichtig. «Es heisst, sich in ihre Lage hin- einzuversetzen und sich zu fragen, was ich in dieser Situa- tionwünschenwürde. Das macht bescheiden und demütig.» Rudolf Joss erkannte, dass Betroffene und ihre Angehö- rigen auch ausserhalb des Spitals einfühlsame und kompe- tente Beratung brauchen. Deshalb übernahm er 1989 das ehrenamtliche Präsidium der Krebsliga Zentralschweiz. Diese hat sich in den 25 Jahren seiner Leitung vom Einfrau- Betrieb zu einem Dienstleistungsunternehmen mit zehn Angestellten in den Beratungsstellen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz und Nidwalden entwickelt. Als es um die Umsetzung des Paragrafen 25 Absatz 2 im neuen Gesundheitsgesetz ging, der jedem Menschen das Recht auf eine gute Betreuung am Lebensende zugesteht, Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 19 33 zögerte er nicht lange und hat gehandelt. Seit der Grün- dung des Vereins Palliativ Luzern im Jahr 2008 setzt er sich tatkräftig für das Anliegen ein. Nach einer Bestandes- aufnahme und der Erarbeitung eines Konzeptes konnte 2013 die zentrale Anlauf- und Infostelle eröffnet werden. «Das Bewusstsein um die Bedeutung von Palliative Care ist bei Ärzten, Spitex und Heimen stark gestiegen, und es wurden entsprechende Konzepte entwickelt.» Er hofft, dass bis zu seinem Rücktritt im nächsten Jahr auch das zweite dringende Anliegen, die Einsetzung eines spezialisierten mobilen Palliative-Care-Dienstes zur Beratung von Spitex und Institutionen, gut aufgegleist sein wird. Auch neben seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten war es Prof. Dr. Rudolf Joss nach seiner Pensionierung am 1. Januar 2011 nie langweilig. Wie früher besucht er am Mittwoch- abend das Konditionstraining des Alpenclubs Kriens und hält sich bei Gartenarbeiten, beimWandern und Ausführen der Hündin Tosca fit. Zusammen mit seiner Frau Theres springt er ein, wenn die Familien der drei Töchter Hilfe beim Hüten der sieben Enkelkinder brauchen. Er schnitzt Holz- kühe und ist fasziniert von handwerklichen Arbeiten. Dabei staunt er immer wieder über das Wissen und Können der Fachleute und die Entwicklung der Technik. «Unglaublich, dass ich heute mit dem Telefon gute Fotos machen und Blu- men mit einer App erkennen kann.» Vor allem aber erfüllt ihn eine tiefe Dankbarkeit: «Eingebettet in ein gutes soziales Umfeld erleben wir nach der Pensionierung einen der schönsten Lebensabschnitte, wir können uns bewegen, tun und lassen, was wir wollen.» Monika Fischer «Menschen sollen an der Hand und nicht durch die Hand eines anderen sterben», ist Rudolf Joss, Präsident des Vereins Palliativ Luzern, überzeugt. Als Onkologe und eins- tiger Chefarzt hat er zahlreiche Menschen in der letzten Lebensphase begleitet. Was macht eigentlich …? Sterbende nicht allein lassen Foto: Peter Lauth

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