Zenit Nr. 2, Juni 2018

14 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 18 Rolf Kistler, stimmt der Eindruck, dass bei technischen Assistenzsystemen für Betagte zuweilen zu sehr die Technik und zu wenig der Mensch im Zentrum steht? Vor zehn Jahren, als Ambient Assisted Living (AAL) entstan- den ist, war es in der Tat noch sehr techniklastig. Eine Spiel- wiese für Wissenschaftler, könnte man etwas überspitzt sagen. Fakt ist, dass am Anfang auch Projekte entwickelt wurden, ohne die Betroffenen miteinzubeziehen. Aus diesen Fehlern hat man gelernt. Heute stehen der Mensch und seine Selbstbestimmung im Zentrum, die Technik ist Mittel zum Zweck. Was gibt es für Hilfssysteme, wo steht die Forschung? Es gibt diverse Bereiche, einer ist die Sicherheit zu Hause. So existieren etwa Systeme mit Sensoren, die Notfälle an- zeigen, zum Beispiel, wenn die betagte Person am Boden liegt. Es gibt zudem Sensoren am Bett. Wenn eine Person, die normalerweise um 8 Uhr aufsteht, um 11 Uhr noch im Bett liegt, löst dies bei Angehörigen einen Alarm aus. Fühlt man sich da nicht überwacht? Es sind Sensoren, keine Kameras, diese würden zu Recht nicht auf Akzeptanz stossen. Interessant ist das von uns entwickelte System «Relaxed Care», das Sicherheit mit Kommunikation verbindet. Ich mache ein Beispiel mit Sensoren in der Wohnung, Alarmsysteme am Rollator, Roboter, die sprechen können: Assistenzsysteme können für hilfsbedürftige ältere Menschen Segen oder Fluch sein. Für Rolf Kistler* von der Denkfabrik für Gebäudeintelligenz der Hochschule Luzern steht die Selbstbestimmung der Seniorinnen und Senioren im Mittelpunkt. «Heute ist die Technik meiner eigenen Mutter. Sie möchte, wenn ich sie anrufe, immer zuerst wissen, wie es mir geht. Das ist für sie sehr wichtig. Für solche Situationen gibt es ein Ampelsystem. Ein Würfel in der Wohnung zeigt Grün, Orange oder Rot an. Ich kann diese Farbbotschaften und auch weitere Nachrichten per App übermitteln. So weiss sie, wie es mir geht – und ich sehe, ob sie auf «Grün» ist, was heisst, dass alles in Ordnung ist. Bei Orange rufe ich abends an, bei Rot sofort. In der Entwicklung sind derzeit Notrufsysteme, die auf Zuruf, etwa auf das Wort «Hilfe!», reagieren. Fördert das nicht die Vereinsamung? Ein oft geäusser- ter Kritikpunkt bei technischen Hilfssystemen. Natürlich kann jemand dadurch das Gefühl haben, er müsse nun seine Mutter nicht mehr anrufen, weil das Sys- tem ihm sagen würde, wenn etwas nicht mehr in Ordnung wäre. Und ja: Letztlich geht es auch um die Frage, wie wir auf die Entwicklung, dass es immer mehr Ältere und immer weniger Junge geben wird, reagieren. Assistenzsysteme können dereinst Dienste vollbringen, für die es schlicht kein Pflegepersonal mehr gibt. Aber der Schluss: technische Hilfsmittel gleich Förderung von Isolierung, stimmt nicht. Rolf Kistler: «Technik soll helfen, Menschen zusammenzu- bringen und der Einsamkeit entgegenzu- wirken.» *Das rund zehnköpfige Team Ambient Assisted Living (AAL) des iHomeLab der Hochschule Luzern (Technik & Archi- tektur) erforscht und testet Technologien, welche die Lebens- qualität von älteren Menschen verbessern und die Selbststän- digkeit in der eigenen Wohnung erhalten soll. Das «iHomeLab» ist die Schweizer Denkfabrik und Forschungszentrum für Gebäudeintelligenz. Das AAL-Team um Forschungsgruppen- leiter Rolf Kistler entwickelt im Weiteren Lösungen, welche die Zusammenarbeit von Pflegeorganisationen und pflegen- den Angehörigen erleichtern oder die Gesundheit und Sicher- heit von älteren Personen verbessern, die sich noch im Berufsleben befinden.

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