Zenit Nr. 1, März 2019

38 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 19 von Walter Steffen «Am10.Mai 1940 griffen die deutschen Pan- zer im ‹Blitzkrieg› Frankreich an», so begann Jerzy Rucki* (1919–2001) jeweils seine Er- zählung vor Luzerner Schulklassen. Von sei- nen drei Kindern leben noch zwei; ein Sohn in Kriens und eine Tochter in den USA. Der folgende Bericht stützt sich auf sein Buch: «Bereits am 19. Juni ersuchte Marschall Pétain seinen ‹Waffenbruder› Hitler um einen Waffenstillstand und erhielt von ihm dafür das nicht besetzte Südfrankreich mit der Hauptstadt Vichy. Unsere 10. polnische Grenadierkompagnie kämpfte noch vier Tage weiter. Am 21. Juni fanden wir uns in Bacca- rat bei Nancy umzingelt von deutschen Panzern. Unser Kom- mandant riet uns, in die Schweiz zu fliehen – 200 Kilometer südlich. So zogen wir in kleinen Gruppen los. Wir schliefen in Wäldern und Schuppen und ernährten uns von Waldbeeren und Pilzen. Einmal pflückten wir reife Kirschen auf einem Baum und entdeckten mit Schrecken, dass auf dem Kirschbaum daneben deutsche Landser das- selbe taten. Zum Glück trugen wir da bereits Zivilkleider, die wir in Ronchamp gegen unsere Pistolen eingetauscht hatten. Am Morgen des 10. Juli – nach 18-tägiger Flucht – erreichten wir die Schweiz bei Porrentruy. Hier wurden wir von der gastfreundlichen Familie Schaffter bewirtet, bevor uns die Frem- denpolizei dann einem Internierten-Lager zu- wies. Ich durfte hier in der Schweiz sogar meine Studien weiterführen, und zwar im Internier- ten-Hochschullager Heinrichsbad bei Herisau. Wären wir den Deutschen in die Hände gefallen, dann hätten wir ‹polnischen Untermenschen› wohl mit dem Schlimmsten rechnenmüssen.» Nicht alle Internierten hatten so viel Glück wie Jerzy Rucki. ImWauwilermoos befand sich sogar ein Straflager für «aufmüpfige Internierte». Franzosen, Polen, Russen und Amerikaner, die einen Fluchtversuch aus ihren ordentlichen Lagern versucht hatten, landeten in einer der 25 Baracken im feuchten Moos. Über dem von bis zu 1000 Gefangenen bewohnten Lager herrschte im Sommer ein bestialischer Fäkaliengeruch. Die Latrinen führten in Gräben quer durch die Baracken. Zudem wurden die Häftlinge oft Ab 1940 beherbergte die Schweiz 104 000 internierte Soldaten (unter ihnen 43 000 Franzosen und 15 000 Polen), viele davon im Kanton Luzern. Einer von ihnen, Jerzy Rucki, hat seine Geschichte in einem Buch festgehalten*. Die Internierten im Ka Fotos: zVg Schweizer Soldaten bewachten die zwei Der umstrittene Hauptmann André Béguin inmitten von Lagerinsassen. Jerzy Rucki, im Internierten-Lager.

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