KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 27 occipitale und Os temporale, Membrantechniken am gesamten Schädel und balancierende Techniken am Übergang von Occiput-Atlas-Axis (OAA) angewandt. Giulia wird in der ersten Sitzung auch mit Faszientech- niken am Thorax und am Becken behandelt, um die Symmetrie der Körperspannung zu optimieren. Giulia reagiert gut auf die osteopathischen Behand- lungen und hat nach den ersten zwei wöchentlichen Sitzungen eine gleichmässige Kopfrotation beidseits er- reicht. Das Aufstossen hat sich durch Lösen der Span- nungen am Schädel und der Kopfgelenke, durch visce- rale Techniken an Zwerchfell, Magen, Duodenum und Coecum gebessert. Nun wird vermehrt mit cranialen Techniken an der Kopfform gearbeitet, die Behandlung erfolgt aber wei- terhin immer noch am gesamten Körper. Im Alter von 15 Wochen kann Giulia den Kopf aktiv auf beide Sei- ten drehen und in Bauchlage symmetrisch gut gegen die Schwerkraft heben. Durch die häufiger eingenom- mene Bauchlage wird die abgeflachte Stelle am Hin- terkopf weniger belastet. Die Kopfform hat sich deut- lich verbessert. Anmerkung zur osteopathischen Behandlung In der Osteopathie wird der Mensch als eine dynami- sche Funktionseinheit betrachtet. Deshalb ist es nicht ausreichend, sich auf einen Bereich der Dysfunktion zu konzentrieren bzw. zu beschränken. Wesentlich ist es herauszufinden, wo die Ursache für diese Dysfunktion liegt. Eine ausführliche Anamnese liefert dem Osteopa- then wichtige Informationen. Mit Inspektion und Pal- pation werden die räumliche Beziehung und die Span- nungsverhältnisse der Gewebe beurteilt. Die Anatomie des Körpers ist durch das Kreislaufsystem, das respira- torische System, das Lymphsystem, das Verdauungssys- tem und das Nervensystem verbunden. Eines der wich- tigsten Systeme in der Osteopathie ist das System der Faszien, das den Körper von cranial nach caudal ver- bindet [4]. In der Osteopathie findet die wechselseitige Bezie- hung zwischen Struktur und Funktion grosse Beach- tung: Lässt sich der Kopf auf eine Seite nicht drehen, beginnt er sich dieser Position anzupassen und verän- dert seine Form. Diese Deformierung findet nicht nur in der «sichtbaren Peripherie» statt, sondern auch an der Schädelbasis und an den Condylen des Os occipita- le (Übergang OAA). In diesem Bereich kommt es häu- fig zu Störungen, weil der Gelenkachsenwinkel beim Säugling deutlich flacher ist als beim Erwachsenen [5]. Die damit erhöhte Mobilität führt oft zu Problemen. Das kann Auswirkungen auf Knorpel, Sehnen und Bän- der haben. Auch die Foramina an der Schädelbasis und die Strukturen, die die Foramina passieren, sind anfällig für Krafteinwirkungen oder Veränderungen in der sich entwickelnden Schädelbasis. Sobald ein Bereich mehr oder weniger verändert wird, muss sich jeder andere Bereich im Körper anpassen. Eine Plagiocephalie kann demnach Auswirkungen auf die spätere Kopfform, auf Mandibula und Kiefergelenk und auf die Augen- motorik haben. Eine Kompression im Bereich der Ossa temporalia kann auch die Funktion des Mittelohres beeinträchtigen [6]. Die Osteopathie sieht nicht nur vor, dysfunktionale Bereiche aufzulösen, sondern den Körper zu unterstüt- zen, um seinen optimalen Zustand zu erreichen. Für die Kinderosteopathie bedeutet dies, die Weiterentwick- lung des Kindes zu optimieren. Bleiben die Dysfunktionen im Körper bestehen, könn- te die neuro-myo-faszial-skeletale Einheit negativ be- einflusst werden. Die optimale Entwicklung des Kindes könnte beeinträchtigt sein [7,8,9]. Wie jedes einzelne Kind reagiert, hängt davon ab, wie die generelle Stress- belastung im Leben ist und wie gut das Kind die Dys- funktionen kompensieren kann. ■ In diesem Text wird der Einfachheit halber nur die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen. Alle Fotos werden mit der freundlichen Genehmigung der Eltern publiziert. LITERATUR: [1] Carreiro E. J. (2011): Osteopathie bei Kindern und Jugendlichen. 2. Auflage. Urban & Fischer [2] Appleton M. (2017): Integrative Baby Therapy. Osteopathie Schule Deutschland [3] Posadzki P, Lee MS Ernst E. (2013) Osteopathic Manipulative Treat- ment for Pediatric Conditions: A System Review, Ped Jul; 132 (1):140–52) [4] Fryman V. (1998): Collected Paper of Viola M. Frymann DO, Legacy of Osteopathy to Children, American Academy of osteopathy [5] Sacher R. (2003): Geburtstraumatische Gefährdung der infantilen (Hals-) Wirbelsäule, päd. 2003, 222–225 [6] Carreiro E. J. (2011): Osteopathie bei Kindern und Jugendlichen, 2. Auflage. Urban & Fischer [7] Goldmann S.I. (2008): Collected Works of J. Gordon Zink. American Academy of Osteopathy [8] Steinbok et al. (2007): Long-Term Outcome of Infants with Positional Occipital Plagiocephaly. Childs Nerv Syst 23(11): 1275–83 [9] Miller R.I., Clarren S.K. (2000): Long-Term Developmental Outcomes in Patients with Deformational Plagiocephaly. Pediatrics 105(2): E26 Diverse osteopathische Techniken am Zwerch- fell, an den Kopfge- lenken, an den Thorax- faszien und am Becken.

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