KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

FORTB I LDUNG 01 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 26 E iner der häufigsten Gründe, warum Eltern ihren Säug- ling in die osteopathische Behandlung bringen, ist die Schädelasymmetrie. Damit sind möglicherweise funktio- nelle Schwierigkeiten wie Bewegungseinschränkung in der Halswirbelsäule, Saug- und Schluckprobleme, moto- rische Unruhe, häufiges Schreien etc. verbunden. Schädelasymmetrien werden bezüglich ihrer Ent- stehung in zwei Gruppen unterteilt. Die primäre Pla- giocephalie ist bereits intrauterin oder als Komplika- tion während der Geburt entstanden. Die sekundäre, lagerungsbedingte Plagiocephalie wird oft erst Wo- chen nach der Geburt erkannt; man nimmt an, dass sie sich aus einer Kombination von anomalen Gewebe- kräften infolge einer subtilen Schädelasymmetrie und der Schlafposition in Rückenlage entwickelt [1]. Da die- se Position als «Lieblingsposition» des Kindes betrach- tet wird, wird die Deformierung des Schädels erst spä- ter erkannt. Bei der osteopathischen Untersuchung werden Mo- tilität, Mobilität und Qualität des muskuloskeletta- len, visceralen und craniosacralen Systems sowie Mo- bilität und Qualität des Bindegewebes beurteilt. Auch die neurologischen Tests für Babys werden durchge- führt. Es ist wichtig, das Kind bei der Untersuchung und auch später bei der Behandlung gut zu beobachten. Be- ginnt das Kind zu weinen, muss der Behandler heraus- finden, was es mit dem Weinen ausdrückt. Wenn die Untersuchungs- bzw. Behandlungssituation kinderge- recht gestaltet wird, der Kinderosteopath sanft vorgeht und das Kind trotzdem weint, kann es sich um eine Gewebereaktion («Gewebegedächtnis» [2]) handeln. Das Kind wird sich schnell beruhigen, wenn sich die Spannungen im Gewebe gelöst haben. Osteopathie ist für Kinder sicher und hat wenig Nebenwirkungen [3]. Die erste Arbeitshypothese entsteht nach der Aus- wertung von Anamnese, Beurteilung der motorischen Entwicklung, neurologischen Tests und osteopathischen Befunden. Ein ganzheitlicher Behandlungsplan setzt die Synthe- se von anatomischen und funktionellen Zusammenhän- gen voraus. Die Verbindungen der Faszien zum ossären Schädel, zu den Muskeln der Halsregion und unter den Faszien selbst zeigen deutlich, wie eng jede Verände- rung im Bereich des Kopfes wirkt – natürlich auch um- gekehrt auf den gesamten Körper. Zur Behandlung gehören ebenfalls Lagerungsinstruk- tionen und einfache Übungen, die den Eltern mitgege- ben werden. Fallbeispiel Die knapp 9 Wochen alte Giulia dreht den Kopf seit der schwierigen und langen Geburt, die schlussendlich mit einer sekundären Sectio endete, fast nur auf die rech- te Seite, der Schädel hat sich verformt. Zusätzlich zu der Vorzugsposition des Kopfes stört Giulia ein häufi- ges Aufstossen, die allgemeine Entwicklung ist normal. Bei der Inspektion gibt die von Giulia spontan ein- genommene Lage bereits einige Hinweise auf ihr Pro- blem: Auf dem Rücken liegend ist Giulias Kopf nach rechts gedreht. Die Wirbelsäule zeigt eine Konvexität nach links und das Becken ist rechts höher. Der rechte Hinterkopf ist abgeflacht, das rechte Ohr und Os fron- tale sind nach vorne, die Mandibula leicht nach links verschoben. Sie kann den Kopf nur wenig über die Mit- tellinie nach links drehen und auch mit vielen Stimuli die linke Wange nicht auf die Unterlage legen. Der Längen- unterschied der beiden Kopfdiagonalen wird weniger als 1 cm geschätzt. Auf dem Bauch hält Giulia den Kopf nach rechts gedreht, die Wirbelsäule zeigt eine linkssei- tige Konvexität und die rechte Hüfte bleibt in leichter Flexion. Den Kopf aufzuheben gelingt ihr nur wenig, nach kurzer Zeit fängt sie an zu weinen. Rechtsseitig spürt man am Os ilium, an der BWS Höhe Th 5–7 und den Rippen 5–7 eine Zone mit weniger Elas- tizität bzw. Hypomobilität. Die rechte Schulter- und Na- ckenmuskulatur weisen erhöhte Spannungen auf. Das Testen der Wirbelsäule in Seitneigung rechts und Rota- tion links zeigt einen Mobilitätsverlust in den Segmen- ten Th 5–7. Bei der Palpation des Bauches fallen die Zo- nen beim Magenausgang und beim Coecum mit leicht erhöhter Spannung auf. Auch an Schädel und HWS wur- de durch Palpieren und Mobilisieren eine segmentale Einschränkung der Kopfgelenke C0/C1 festgestellt. Die rechte Schädelseite weist eine als Gewebsverhärtung tastbare Verspannung vom Hinterkopf bis zur Schädel- basis auf, das Asterion ist angespannt und das Os tem- porale stärker über das Os occipitale geschoben im Vergleich mit der linken Seite. Im Viscerocranium ist in der Innenseite der rechten Orbita und auf der latera- len Seite des Os frontale eine erhöhte Spannung wahr- zunehmen. Für den weiteren Verlauf der motorischen Entwick- lung, die um die 12./13. Lebenswoche Körpersymme- trie vorsieht, ist es wichtig, dass Giulia so rasch wie mög- lich den Kopf aktiv auch nach links drehen kann. Die intra- und extracraniellen Verspannungen müssen ge- löst werden. Dafür werden intraossäre Techniken an Os Osteopathische Herangehensweise bei lagerungsbedingter Plagiocephalie ANNA-LEENA GUGGISBERG, STETTLEN, OSTEOPATHIN DIPL. GDK, KINDEROSTEOPATHIN D.P.O. MATHIEU VOUILLAMOZ, LYSS, OSTEOPATH DIPL. GDK, KINDEROSTEOPATH D.P.O. Korrespondenzadresse: info@osteopathie-guggisberg.ch

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